Es ist eine enorme Herausforderung für Blut- und Materialspezialisten: Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen das Blut im Kontakt mit Materialien im Körper und außerhalb des Körpers nicht aktiviert wird.

Von Carola Timmel

Wie tolerant ist unser Blut eigentlich gegenüber nicht-körpereigenen, extrakorporalen Materialien? Jens Hartmann antwortet da ganz direkt: „Eigentlich gar nicht. Denn Aufgabe des Blutes ist es nun einmal, fremde Oberflächen zu erkennen und sie zu bekämpfen.“ Der Biologe und Fachbereichsleiter für Medizinische Verfahrenstechnik am Zentrum für Biomedizinische Technologie der Donau-Universität Krems ist im Bereich „Charakterisierung von Materialien“ tätig. In seinem Fachbereich geht es unter anderem darum zu beobachten, wie das Blut auf sogenannte Adsorbermaterialien im Rahmen von extrakorporalen Therapien reagiert. Unter extrakorporalen Therapien versteht man die Reinigung des Blutes außerhalb des Körpers. Die verwendeten Materialien dienen dazu, bestimmte Stoffe im Blut – meist hydrophobe Giftstoffe bzw. Toxine, die an Proteine in unserem Blut gebunden sind – mittels Adsorption zu entfernen. Die zum Einsatz kommenden Adsorbermaterialien haben je nach zu entfernender Substanz unterschiedliche physikalische bzw. chemische Eigenschaften: Zu den bekanntesten gehören die sogenannten Neutralharze, Ionentauscher oder mit Antikörpern beschichtete Adsorber.

Jens Hartmann untersucht Adsorbermaterialien insbesondere in Bezug auf die Behandlung von Leberversagen und Inflammation. Bei Patienten mit Leberversagen übernehmen diese Stoffe das Entfernen der Giftstoffe. „Vor der detaillierten Charakterisierung von Materialien sehen wir uns die Materialien unter dem Elektronenmikroskop an und beobachten, wie das Blut darauf reagiert“, sagt Hartmann. Wenn die Blutzellen an der Oberfläche anhaften, dann ist dies kein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass das Blut das Material als Fremdoberfläche erkannt hat. „Wir sehen das dann auch anhand des Gerinnungssystems. Dieses wird angeregt, und das ist natürlich nicht wünschenswert.“ Im Übrigen gehe es aber nicht nur um die chemische Zusammensetzung der Adsorbermaterialien, sondern auch um deren Textur – also wie rau oder glatt die Oberfläche ist.

Zellulose nicht optimal

Früher hat man einige Filter- und Adsorbermaterialien auch aus Zellulose hergestellt, aber es hat sich gezeigt, dass dies kein optimales Material für diese Zwecke darstellt. „Was natürlich seine Logik hat, denn Zellulose, als ein aus der Natur kommender Stoff, wird sofort als Fremdsubstanz erkannt und regelt das Immunsystem hoch“, sagt der Biologe. Heute kommt daher Zellulose kaum noch zum Einsatz. Für Filter verwendet man meist Polysulfon, ein sehr bioverträgliches Polymer. Aber auch da kommt es immer wieder vor, dass Patienten reagieren. Das extrakorporale System besteht aber neben Filtern und Adsorbern aus vielen weiteren Komponenten und Materialien: Schlauchsystem, Katheter, Pumpsegmente, Adapter, Anschlüsse für Drucksensoren etc. – all diese Komponenten müssen blutverträglich sein. Also hier ist noch viel Forschungsarbeit notwendig.

Neben Material und Textur sind übrigens auch die Scherkräfte ein wesentlicher Faktor. Auch diese können die Blutgerinnung anregen. Insbesondere an den Ein- und Austrittsstellen von Filtern tritt dieses Phänomen auf. Und auch der Verlauf des Schlauchsystems spielt daher eine Rolle – ein leichter Knick oder eine Engstelle können ebenfalls eine Gerinnung hervorrufen.

„Warum verschiedene Materialien bzw. deren Oberflächeneigenschaften unterschiedliche Zell- und Proteinreaktionen hervorrufen, ist nach wie vor nicht ganz geklärt.“

Carla Tripisciano

Gerinnung hemmen

„Natürlich erforschen wir auch Ansätze, die vom Blut ausgehen. Also Ansätze, die darauf abzielen, das Blut ein bisschen zu überlisten, um es salopp auszudrücken“, sagt Jens Hartmann. Ein Ansatz hier ist beispielsweise die Gerinnungshemmung mit Zitrat – dieses fügt man dem Blut zu. Bevor es wieder in den Körper des Patienten zurückfließt, wird die Gerinnungsfähigkeit durch Zugabe von Kalziumchlorid wiederhergestellt. Im Vergleich zum konventionell eingesetzten Gerinnungshemmer Heparin bietet Zitrat den Vorteil, die Blutverträglichkeit vieler Materialien insofern zu erhöhen, als Blutzellen unter der Wirkung von Zitrat weniger stark aktiviert werden und sich neutraler gegenüber Fremdoberflächen verhalten.

Mit den unterschiedlichen Reaktionen der Blutbestandteile auf verschiedene Reize beschäftigt sich Jens Hartmanns Kollegin Carla Tripisciano. „Die Blutverträglichkeit eines Materials ergibt sich aus der Summe von bestimmten Interaktionen zwischen Blut und dem Material, mit dem es in Kontakt kommt“, sagt die Biologin. Je unauffälliger die Wechselwirkungen sind, desto verträglicher ist das Material. Wenn keine Veränderungen im Blut feststellbar sind, so kann ein Material als „biokompatibel“ bezeichnet werden. In diesem Fall gibt es auch keinen Einfluss auf die Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Dies wäre das angestrebte Ziel. In vielen Fällen jedoch gibt es dauerhafte und unterschiedlich starke Reaktionen auf Materialien.

„Die Frage, warum verschiedene Materialien bzw. deren Oberflächeneigenschaften unterschiedliche Zell- und Proteinreaktionen hervorrufen, ist nach wie vor nicht ganz geklärt und da ist noch viel Forschungsarbeit notwendig“, sagt Tripisciano. Auf der anderen Seite könne man auf Wissen aufbauen wie beispielsweise über die Adsorption in Bezug auf wasserlösliche bzw. -unlösliche Materialien: Lösliche, also hydrophile Materialien adsorbieren eine geringere Menge an Proteinen als hydrophobe, da die Wassermoleküle das Material umgeben und von Proteinen nur schwer verdrängt werden können. „Wir sehen, dass die Verträglichkeit zwischen Blut und Biomaterial, medizinisch Hämokompatibilität genannt, von hydrophilen Materialien größer ist. Daher können wir die Oberflächen laufend verbessern.“

Eine weitere wichtige Frage ist, herauszufinden, warum Wechselwirkungen im arteriellen und venösen Blut unterschiedlich sind. Also viele Herausforderungen, die es letztendlich auch schwierig machen, verlässliche und allgemeingültige Testbedingungen zu definieren.

Kostenfrage

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt in der Entwicklung von Materialien verweist Thomas Groth, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg forscht: die Kostenfrage. „Die Entwicklung neuer Biomaterialien für Anwendungen im Kontakt mit Blut muss immer im Kontext der zu erwartenden Kosten für das Produkt, der Art des Einsatzes und der möglichen Erstattung durch die Krankenkassen gesehen werden. Insofern werde man bei Schlauchsystemen und Kathetern weiterhin auf Verminderung oder Hemmung der Anlagerung von Proteinen und Zellen setzen, sagt der Biophysiker. Neue pharmazeutische Ansätze beruhen auf einer Beschichtung mit Materialien, die Stickstoffmonoxid freisetzen. Diese Substanz, die normalerweise von Endothelzellen, der inneren Zellschicht von Blutgefäßen im direkten Kontakt mit Blut, erzeugt wird, hemmt die Aktivität von Thrombozyten, die eine wesentliche Rolle bei der Blutgerinnung und Thrombusbildung spielen.

Und auch auf anderem Terrain gibt es große Herausforderungen. „Bislang existieren noch keine Produkte, die kleinkalibrige Blutgefäße wie die Koronararterien durch konventionelle Biomaterialien ersetzen können. Auch die Entwicklung künstlicher Herzklappen stellt die Patienten und Ärzte häufig vor Probleme“, sagt der ehemalige Präsident der ESAO, der Europäischen Gesellschaft für Künstliche Organe, und verweist auf die neuen Ansätze des Tissue Engineering. Durch Kombination abbaubarer Materialien mit Zellen des Patienten bzw. verschiedenen Arten von Stammzellen kann ein komplettes Blutgefäß oder eine Herzklappe mit natürlicher Struktur im Labor erzeugt werden. Dieses kann dann als lebendes, funktionstüchtiges Implantat verwendet werden. „Der Vorteil besteht darin, dass keine Gabe von Gerinnungshemmern durch Injektion nötig ist und diese Art von Implantat sich auch im Rahmen natürlicher Alterungsprozesse bewegt“, so Groth.


JENS HARTMANN
Ass.-Prof. Dr. Jens Hartmann ist Fachbereichsleiter für Medizinische Verfahrenstechnik – Zentrum für Biomedizinische Technologie der Donau-Universität Krems. Der Assistenzprofessor für Apherese und extrakorporale Therapien studierte Biologie an der Universität Wien.

CARLA TRIPISCIANO
Ass.-Prof. Dr. Carla Tripisciano forscht am Department für Biomedizinische Forschung der Donau-Universität Krems. Sie studierte Biologie an der Universität von Palermo und der Westpommerschen Technischen Universität in Stettin, Polen, wo sie dissertierte.

THOMAS GROTH
Dipl.Biol. Prof. Thomas Groth, PhD, DSc, forscht am Department Biomedical Materials an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und leitet dort die Arbeitsgruppe Biomedizinische Materialien. Er ist Past President der Europäischen Gesellschaft für künstliche Organe ESAO.

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