Während ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2, das Corona-Virus, wohl nicht vor einem Jahr entwickelt sein wird, setzen Forscher auf Drug Repurposing: den Einsatz bereits getesteter Wirkstoffe gegen die Lungenkrankheit.
Von Peter Illetschko
Faszinierend. Nextstrain.org verwendet die genetischen Daten von Viren, damit Wissenschafter seine Verbreitung verfolgen können. "Der Milliardär und Mäzen Bill Gates beschrieb schon 2017 auf Twitter, was sich vor allem in den Tagen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie als hilfreiches Tool für Open Science erwiesen hat. Auch Andreas Bergthaler hat nur lobende Worte für die Plattform. Der Österreicher beschäftigt sich am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vor allem mit der Entstehung viraler Erkrankungen und der Immunreaktion darauf. Er spricht davon, dass man hier sieht, „wie die gesamte Forschungscommunity weltweit an einem Problem arbeitet“.
Das SARS-CoV-2-Virus hat ein RNA-Genom, das wie andere RNA-Viren bei der Vervielfältigung eine relativ hohe Fehlerquote aufsammelt. Das machen sich internationale Forscher und die Datenbank Nextstrain zunutze, indem sie anhand der angesammelten Fehler auf die Geschichte der jeweiligen Virusprobe schließen können. Nach einem Blick auf Nextstrain ist am CeMM auch eine Idee entstanden, von der Bergthaler und sein Team kürzlich berichteten. Es gab zwar sehr bald Genom-Sequenzierungen von Sars-CoV-2, so der offizielle Name des derzeitigen Corona-Erregers: Sie kamen aus China, dem Land, in dem der Ausbruch der Pandemie stattfand, und aus Italien, das zurzeit nach den USA und Spanien am stärksten von der Infektion betroffen ist – was die Fallzahlen betrifft. Auf der Landkarte war aber in Österreich ein weißer Fleck, sagt Giulio Superti-Furga, Direktor am CeMM: Und da es hierzulande keine dem deutschen Robert-Koch-Institut vergleichbare Forschungseinrichtung gibt, versuchte man an dem im Wiener AKH-Gelände errichteten Institut genau diese Lücke zu schließen.
In Kooperation mit dem Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien hat Bergthaler auf Nextstrain gemeinsam mit seinem Team und der Sequencing Facility am CeMM, unterstützt vom Wiener Wissenschaftsfonds WWTF, die ersten 21 SARS-CoV-2-Genome von geplanten 1.000 Virus-Genomen aus Österreich veröffentlicht. Erstaunlich daran ist: Die Analyse des Genoms erlaubt Rückschlüsse auf Infektionsketten. Bergthaler berichtet von circa zwei Mutationen, die das Virus pro Monat in einem Patienten ansammelt. Interessant sind laut dem Wissenschafter Mutationen, die zu Änderungen auf der Proteinebene führen. „Das spricht für einen Selektionsdruck auf das Virus und könnte damit begründet werden, dass das Virus erst vor relativ kurzer Zeit auf den Menschen übergegangen ist und sich nun langsam, aber kontinuierlich weiter anpasst“, erklärte er gegenüber der Austria Presse Agentur (APA).
Durch die Sequenzierung sei es nun möglich, die Mutationen zu verorten und Infektionsketten nachzuvollziehen. Bergthaler nennt ein Beispiel: Das Virus von einem Patienten, der sich in Teheran im Iran angesteckt hatte, unterscheidet sich vom Genom des Virus aus Ischgl in Tirol. So könne man relativ gut nachvollziehen, wer sich wie angesteckt hat.
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„Das Virus von einem Patienten, der sich in Teheran angesteckt hatte, unterscheidet sich vom Genom des Virus aus Ischgl in Tirol. So kann man relativ gut nachvollziehen, wer sich wie angesteckt hat.“
Andreas Bergthaler
Hoffnung auf baldiges Medikament
Derzeit gehe man davon aus, dass sich das Virus trotz der beschriebenen Mutationen deutlich langsamer verändert als etwa das HI-Virus. Bergthaler und Superti-Furga hoffen auf einen Impfstoff in etwa einem Jahr. Medikamente, die die durch das Virus entstandene Lungenkrankheit COVID-19 bekämpfen, sollte es aus Sicht vieler Forscher schon deutlich früher geben. Dabei hofft man vor allem auf Medikamente, die es schon am Markt gibt und deren Verträglichkeit für Menschen bereits sichergestellt ist. Der Fachausdruck dafür wird derzeit sehr häufig in Fachmagazinen verwendetet: Drug Repurposing.
Bei Medikamenten gibt es derzeit mehrere Ansatzmöglichkeiten:
1. Man versperrt dem Virus den Zugang zur Zelle. Dabei könnte die Medikamentenentwicklung des Wiener Pharmaunternehmens Apeiron, gegründet vom Genetiker Josef Penninger, eine wichtige Rolle spielen: Ein Angriffsziel des Virus ist nämlich der sogenannte ACE2-Rezeptor, der tief in der Lunge in Epithelzellen liegt. Die Krux: Der Rezeptor darf nicht deaktiviert werden, weil er bei akutem Lungenversagen, das ein zentrales Problem bei schweren COVID-19-Erkrankungen darstellt, eine sehr positive Rolle spielen kann. Penninger hat 2005 nach der Sars-Pandemie 2002/2003 mit seinem Team am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften darüber publiziert. Apeiron hat schließlich ein biotechnologisches ACE2-Protein (hrACE2) hergestellt, das löslich und in der Lage ist, das Sars-Virus abzufangen und Infektionen deutlich zu mildern. Eine aktuelle Studie am IMBA, die mit COVID-19-kranken Organoiden durchgeführt wurde, zeigte im Labor die Wirksamkeit. Die Viruslast durch hrACE2 konnte in Zellkulturen um den Faktor 1.000–5.000 vermindert werden.
2. Man versucht die oben erwähnte Fehlerrate des Virus bei seiner Mutation zu erhöhen – sodass es sich nicht mehr reproduzieren kann.
3. Man greift in die Immunantwort des Menschen ein. Ärzte berichten häufig von einem sogenannten Zytokinsturm, an dem die Patienten letztlich sterben. Das ist eine Überreaktion der Immunabwehr, mit der der menschliche Körper nicht mehr zurande kommt.
4. Und schließlich geht es um die aktive und die passive Immunabwehr. Erstere, die klassische Impfung, ist wohl nicht vor einem Jahr Entwicklungszeit zu erwarten. Experten weisen darauf hin, dass dann noch keine Fabrikation und Verbreitung der Impfung erfolgt ist. Letztere könnte aus dem Serum von genesenen Patienten entwickelt werden: Hier versucht der japanische Pharmakonzern Takeda an seinem Wiener Standort relativ rasch zu einer Lösung für eine marktfähige Entwicklung zu kommen.
Vielversprechende Wirkstoffe
In den Medien ist von einigen Wirkstoffen die Rede, die vielversprechend sein sollen: Remdesivir, eigentlich gegen Ebola entwickelt, Chloroquin, für die Bekämpfung der Malaria eingesetzt, und Wirkstoffe, die in Kombination gegen das HI-Virus helfen (Lopinavir/Ritonavir): Zumindest bei den beiden Ersteren wird aber immer wieder vor Nebenwirkungen gewarnt.
Die Entwicklung von Wirkstoffen für die medikamentöse Behandlung von COVID-19 und von Impfstoffen ist natürlich die zentrale Forschungsaktivität, die in Zeiten der Corona-Krise gefragt ist. Am Anfang steht Beratung und reine Laborarbeit für die zum Monitoring der Erkrankungen wichtigen Tests. Die österreichische Bundesregierung ließ sich bei der Umsetzung der Krisenstrategie von Anfang an von Informatikern der TU Wien beraten, die die Fallzahlen in Modellrechnungen umwandelten. Der Complexity Science Hub in Wien, an dem die Donau-Universität Krems mitwirkt, stellte seine gesamte Forschung auf entsprechende Analysen um.
Laborkapazität bereitstellen
Die Donau-Universität Krems ist auch direkt bei der Bekämpfung des Corona-Virus vor allem beratend tätig. Das Department für Evidenzbasierte Medizin leitet ein Rapid Response Team, das im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO Studien zu Corona sichtet, die in medizinischen Fachjournalen publiziert werden. Für Viktoria Weber, Vizerektorin der Donau-Universität Krems, ist das eine logische Strategie, weil in einer Zeit der Unsicherheit zahllose Berichte und Studien erscheinen – darunter zwangsläufig auch solche, deren Ergebnisse nach genauerer Prüfung für die klinische Anwendung nicht nachvollziehbar sind. In einem zweiten Schritt wird die Donau-Universität Krems Laborkapazitäten zur Verfügung stellen, um COVID-19-Tests durchführen zu können und das Virus in Proben von eventuell infizierten Patientinnen und Patienten nachzuweisen. In jüngster Zeit war häufig von Engpässen in der Beschaffung der für Tests nötigen Reagenzien die Rede. Das betreffe, so Weber, vor allem große Labors, die Arbeitsschritte automatisiert durchführen. „Wir verwenden PCR-Tests mit nicht automatisierter Probenvorbereitung, bei denen Lieferengpässe unwahrscheinlicher sind.“ Die Vizerektorin schätzt, dass auf diese Weise 300 Tests täglich in den Labors der Donau-Universität Krems durchgeführt werden könnten. Auch am Austrian Institute of Technology (AIT) hat man Testkapazitäten geschaffen. Und schließlich schufen mehrere Wiener Forschungsinstitute unter Leitung des Max-Perutz-Labs neue Diagnose-Möglichkeiten. Alles Initiativen, die vielleicht einmal gemeinsam das Virus in die Schranken weisen.
Peter Illetschko ist Ressortleiter Wissenschaft bei der Tageszeitung „Der Standard“
ANDREAS BERGTHALER
Andreas Bergthaler, DVM ist Principal Investigator am CeMM Research Center for Molecular Medicine der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er studierte Veterinärmedizin in Wien und forschte an der ETH Zürich mit Hans Hengartner und Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel sowie an der Universität Genf und am Institute for Systems
Biology in Seattle.
VIKTORIA WEBER
Univ.-Prof. Dr. Viktoria Weber studierte Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur. Die Vizerektorin für Forschung der Donau-Universität Krems leitet mit dem Zentrum für Biomedizinische Technologie auch die dortigen Laboreinrichtungen mit Ausstattung im Bereich Biochemie, Medizinische Verfahrenstechnik, Mikrobiologie sowie Zellbiologie.
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