Barbara Nußbaumer-Streit ist Co-Direktorin von Cochrane Österreich. Ihr Spezialgebiet sind rasche evidenzbasierte Entscheidungshilfen für das Gesundheitssystem – damit aktuelles Studienwissen schnell in die Praxis findet.
Von Astrid Kuffner
Forschung sollte am besten etwas in der Praxis verändern, ist ihre Devise. Schon mit zehn Jahren wollte Barbara Nußbaumer-Streit Forscherin werden: Anthropologin im Dschungel. „Heute bin ich eher eine Schreibtischforscherin, aber ich will, dass Forschungsergebnisse aus dem vermeintlichen Elfenbeinturm in die Praxis kommen, also passt das schon“, sagt die Co-Direktorin von Cochrane Österreich, einer Non-Profit-Organisation, die Entscheidungsträger_ innen im Gesundheitssystem mit wissenschaftlich fundierten, unabhängigen Informationen versorgt.
First time – first love
Evidenzbasiertes Arbeiten lernte die gebürtige Klagenfurterin im Studium der Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Med Uni Graz kennen und fand Gefallen daran. Schon damals las sie gerne Studien und analysierte sie. Sie erweiterte ihre Skills zunächst um einen Bachelor in Betriebswirtschaft sowie eine Spezialausbildung zur Durchführung von klinischen Studien, und begann 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Evaluationen an der FH Oberösterreich. Bis heute ist Linz der Lebensmittelpunkt der 35-Jährigen. Parallel zu dieser Teilzeitstelle arbeitete sie ab Juli 2012 als Karenzvertretung am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation. Nach eineinhalb Jahren wechselte sie zur Gänze in das „international vernetzte und fördernde Umfeld am Department“, wie sie es nennt, und absolvierte ab 2014 ein Doktorat in Public Health an der MedUni Wien, weil sie in der Forschung bleiben wollte. Ihre Dissertation verfasste sie zur Prävention von Herbst-Winter-Depression.
Forschung über Forschung
Ihr Spezialgebiet ist Methodenforschung, insbesondere der Rapid Review. Die Evidenzbasierte Medizin (EBM) erarbeitet meist Synthesestudien, beurteilt die Qualität mehrerer Ergebnisse und bereitet den Sukkus im Idealfall so auf, dass Ärzt_innen und Entscheidungsträger_innen fundierte Entscheidungen treffen können. „Einen systematischen Review durchzuführen ist ein akribischer, zeit- und ressourcenintensiver Prozess, der manchmal nicht praktikabel ist. Ich suche nach methodischen Abkürzungen für den Reviewprozess, bei hoher Aussagekraft.“ Es gibt Hebel, um binnen weniger Wochen statt eines Jahres zu einer Aussage zu kommen. Etwa nur die Evidenz für wenige entscheidungsrelevante Endpunkte zu prüfen, wie Sterblichkeit oder Nebenwirkungen. Oder die Auswahl einzuschränken zum Beispiel nur auf englischsprachige Studien – der Ansatzpunkt ist abhängig vom Thema. Typisch für das Department ist, dass Mitarbeiter_innen methodische Expert_innen sind und sich klinische Expert_innen ins Boot holen, um Themen beispielsweise von Hüftfraktur bis häusliche Bleibelastung bei Kindern zu bearbeiten.
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„Entscheidungen werden sowieso getroffen, vielleicht nur anhand von Einzelstudien, vielleicht ganz ohne Studien. Da ist ein Rapid Review als Basis wesentlich besser.“
Ein Rapid Review bildet nicht die ganze Evidenz ab, aber „Entscheidungen werden sowieso getroffen, vielleicht nur anhand von Einzelstudien, vielleicht ganz ohne Studien. Da ist ein Rapid Review als Basis wesentlich besser.“ Die Nische findet die Forscherin interessant: Wie kann man den Forschungsprozess effizienter gestalten, bewährte Methoden schneller und abgespeckter durchführen, ohne Qualität zu verlieren? Ein gutes Beispiel aus dem Haus ist der Rapid Review zur Wirksamkeit von Quarantäne in Bezug auf COVID-19 aus dem Frühjahr 2020 für die WHO. Hier gab es keine Zeit zu verlieren und chinesische Studien standen im Fokus. Gemeinsam mit Kolleg_innen der Cochrane-Rapid-Reviews-Methoden- Gruppe hat sie auch einen Leitfaden für Forscher_innen entwickelt, wie sie einen guten Rapid Review erstellen. Es wäre nicht das Forschungsfeld EBM, wenn die Guidance aus 2022 nicht evaluiert würde. Sie wird gerade anhand des Feedbacks von Nutzer_innen mit neuesten Ansätzen aus der Methodenforschung und Beispielen aus der Praxis überarbeitet. Das Werk wird weltweit angewendet, der Quarantäne-Review wurde schon tausendmal zitiert. Wie geht es ihr damit? „Das ist schon schön“, sagt Nußbaumer-Streit bescheiden.
Zusammenarbeit weltweit
Als Co-Direktorin von Cochrane Österreich fallen Dissemination und Forschungskommunikation in ihre Zuständigkeit. Das ist abwechslungsreich und sie mag die Zusammenarbeit unter den Cochrane-Zentren weltweit. Von wo aus sie sich mit der Welt vernetzt, ist dabei nicht so wichtig. Im Herbst kehrt sie aus der Babykarenz zurück, pendelt wieder nach Krems und hat eine Homeoffice-Regelung. Zudem unterrichtet sie und versucht mit Workshops Menschen zu erreichen, die schon im Berufsleben stehen. Die Evidenzbasierung ist in gesundheitsrelevanten Studien heute schon besser verankert: „Menschen in der Praxis wollen nicht unbedingt forschen, sondern in erster Linie Menschen versorgen und behandeln, aber ohne Studien ist man nicht auf dem aktuellen Stand des Wissens. Es gibt Neuentwicklungen und manche Behandlungen erweisen sich als nicht so günstig.“ Das spricht gegen das „Hamma immer schon so gemacht“-Prinzip. Man kann lernen Studien zu deuten, noch praxisrelevanter sind aber EBM-Leitlinien, die ein Thema viel umfassender aufbereiten.
Dr.in BARBARA NUßBAUMER-STREIT, MSc BSc ist Co-Direktorin von Cochrane Österreich und leitet das Zentrum Cochrane Österreich am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation. Sie studierte Gesundheits und Pflegewissenschaft an der Med Uni Graz und hält einen Bachelor in Betriebswirtschaft. Ihr Spezialgebiet ist Methodenforschung, insbesondere der Rapid Review.
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