Ein neues EU-Projekt unter Mitarbeit der Universität für Weiterbildung Krems beschäftigt sich mit der Evidenz von aktuellen Impfstoffen und Impfprogrammen. Die Mitgliedsstaaten der EU sollen durch neue Leitlinien und Schulungen in ihren Entscheidungen zu nationalen Impfplänen unterstützt werden.

Von Christina Badelt

 

Transparenz, Objektivität und Systematik: Nicht erst seit COVID-19 sind diese Begriffe wesentliche Parameter, um nationale und regionale Impfprogramme auf Basis wissenschaftlicher Evidenz zu bewerten. Sie charakterisieren die sogenannte Evidenzbasierte Medizin (EBM). Wichtige Grundlage der EBM ist die Aufarbeitung der Evidenzlage in sogenannten systematischen Reviews. Sie sollen sicherstellen, dass bei einer medizinischen Behandlung patientenorientierte Entscheidungen nach Möglichkeit mit Einbezug von wissenschaftlich nachgewiesener Wirksamkeit getroffen werden.

Die wissenschaftliche Aussagefähigkeit epidemiologischer Studien zu recherchieren, gesundheitsfördernde Programme zu evaluieren sowie deren Ergebnisse unter Bürger_ innen, Fachkräften und Entscheidungsträger_ innen im Gesundheitssystem zu verbreiten, ist auch Aufgabe der Forscher_innen am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Universität für Weiterbildung Krems. Das Department, welches seit 2017 ein WHO Collaborating Center ist, gliedert sich in unterschiedliche Zentren und Fachbereiche. Eines davon ist Cochrane. Die internationale Non-Profit-Organisation setzt sich bereits seit 1993 dafür ein, dass Entscheidungsträger_ innen im Bereich der Gesundheitsversorgung auf wissenschaftlich fundierte und unabhängige Informationen zurückgreifen können.

Cochrane Österreich konnte sich nun zusammen mit mehreren Partnern aus Deutschland, Irland und Luxemburg in der Ausschreibung der Europäischen Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA), die von der EU-Kommission in der Folge der COVID-19-Pandemie eingerichtet wurde, durchsetzen. Ziel der Zusammenarbeit: Die Mitgliedsstaaten der EU sollen in ihren Entscheidungen zu nationalen Impfplänen unterstützt werden. Die Projektmittel des vier Jahre finanzierten Projekts “Systematic reviews of scientific evidence on vaccines and capacity building activities” belaufen sich auf insgesamt zwei Millionen Euro, schildert Isolde Sommer von der Universität für Weiterbildung Krems: „Wir vom Department in Krems werden systematische oder Rapid Reviews zu Impfstoffen und Impfprogrammen erstellen sowie Online-Schulungen für die nationalen Expert_innengruppen über geeignete Methoden für die Beurteilung der Evidenz unterstützen. Andere Projektpartner wiederum arbeiten an Methodenbüchern und führen Capacity-Building durch.“

Wissenschaftliche Aussagekraft bestimmen

Evidenzbasierte Beurteilung folgt klaren Regeln, schildert die Expertin: „Ein systematischer Review bedeutet eine umfassende Literaturrecherche, also das Auffinden aller veröffentlichten und unveröffentlichten Studien zu einer bestimmten Fragestellung, die davor genau festgelegt wurde. Außerdem werden die Inhalte kritisch bewertet, um die methodische Qualität der Studien zu erfassen und zu prüfen, etwa wie hoch das Risiko der Verzerrung der Ergebnisse ist. Jede Studie hat unterschiedliche Verzerrungspotenziale, daher gibt es auch für jedes Studiendesign ein eigenes Tool. Diese Bewertung fließt dann in die Ergebnisse ein. Außerdem wird nach Synthese der Evidenz auch das Vertrauen in die Evidenz eingeschätzt.“ Gemeinsam mit einem multidisziplinären Team aus den Bereichen Biologie, Medizin, Psychologie, Pflege und Ernährungswissenschaften werden diese Bewertungen am Department für bestimmte Fachgruppen und Expertengremien aufbereitet. „Dies können gezielte Informationen über Therapien sein oder eben wie im aktuellen Projekt evidenzbasierte Empfehlungen zu Impfprogrammen. Wesentlich dabei ist immer ein transparenter und systematischer Prozess und eine gute Aufbereitung für die Zielgruppe, die auf Basis dessen Entscheidungen treffen muss“, so Isolde Sommer.

Wichtiger Brückenschlag

Vor allem die Nationalen Technischen Beratungsgruppen für Immunisierung (NITAGs) in Europa sollen durch dieses Projekt profitieren. Sie setzen sich aus unabhängigen Expert_innen verschiedener Disziplinen zusammen und sind in die nationalen Immunisierungsprogramme eingebunden. Die NITAGs evaluieren und überprüfen Impfstoffe sowie die entsprechenden Strategien und Programme in den einzelnen Staaten und werden auch durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt. „Mit Cochrane Österreich werden die Vertretungen von Cochrane in Deutschland und Irland sowie das deutsche Robert Koch-Institut und PricewaterhouseCoopers Luxembourg die Arbeitspakte des Projekts für die Europäische Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA) umsetzen“, erklärt Isolde Sommer. „Diese Aufgabe ist ganz zentral und ein wichtiger Brückenschlag zwischen der Evidenz und dem Einsatz dieser Informationen in anderen Ländern. Nationale Arbeitsgruppen können dadurch besser bei ihren Entscheidungen trainiert, beraten und somit auch in Gesundheitsfragen gestärkt werden.“


ISOLDE SOMMER
Ass.-Prof.in Mag.a Isolde Sommer, PhD, MPH ist Forscherin am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Universität für Weiterbildung Krems und Co-Direktorin von Cochrane Österreich. Ihr besonderes Interesse gilt der Weiterentwicklung der Methoden von systematischen Übersichten, Evidenzsynthesen und der Entwicklung neuer Leitlinien.


ECKDATEN DES PROJEKTS

Laufzeit: 2022 - 2026
Auftraggeber:
Europäische Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA)
Wissenschaftliche Partner: Cochrane Deutschland, Cochrane Irland, Robert Koch-Institut
Unternehmenspartner: PricewaterhouseCoopers Luxembourg

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