„Zeitreise Tabakfabrik“ stellt die Umsetzung eines „Blended Spaces“ -Vermittlungskonzeptes dar, das den physischen Schauplatz eines historischen Geschehens mit einer digitalen Ebene verbindet. Das Projekt beschäftigt sich mit der Geschichte der Tabakfabrik Stein, in deren Räumlichkeiten sich heute die Universität für Weiterbildung Krems befindet. Die Tabakfabrik war von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1990er Jahre ein wichtiger Arbeitergeber für Frauen, zu Spitzenzeiten arbeiteten hier über 1000 Frauen – in der ländlich geprägten Kremser Region ein wichtiger Impulsgeber für selbstbestimmtes Frauenleben, die hier in einem sozial vorbildlich organisierten Unternehmen ihr eigenes Geld verdienen konnten. Nach der Schließung der Fabrik 1991 wurde das Gebäude zur Bildungseinrichtung umgewandelt. Eine 140-jährige Zeit der Sichtbarkeit selbstbewusster Arbeiterinnenschaft ging damit zu Ende.

Aus einer 1927 gedrehten filmischen Dokumentation aus dem Alltag der Tabakfabrik wurden zunächst diverse Schauplätze im Gebäude der ehemaligen Tabakfabrik identifiziert. Mit Hilfe einer App, die vom Zentrum für Spielforschung produziert wurde, können via QR-Code die filmischen Sequenzen direkt am Schauplatz des Geschehens abgerufen werden. Somit wird der gegenwärtige Raum mit der Alltagswelt der Arbeiterinnen aus den 1920er Jahren überlagert.

Bei den seit 2015 durchgeführten Rundgängen im alten Universitätsgebäude war nicht nur über Tablets die App verfügbar, zudem waren ehemalige Tabakarbeiterinnen anwesend. Diese interagierten mit der mediatisierten Ebene und legten ihre Sicht der Dinge dar. Die medialen Formate motivieren (Gegen-)Erzählungen und sind Erinnerungsauslöser. Auch aus dem Publikum trugen Personen mit familiären Verbindungen zu ehemaligen Tabakarbeiterinnen zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen bei. Neues Wissen entsteht also durch Interaktionen von digitalen Technologien, Zeitzeuginnen, historischen Schauplätzen und Publikum. Bezugnahmen durch regionale Verbundenheit, visuelles Erleben historischer Momente am Ort des Geschehens, aber auch unterschiedliche Perspektiven werden damit möglich. In weiterer Folge wurden Erinnerungen und Erinnerungsinterviews gesammelt.

Derzeit wird an der Umsetzung einer kleinen Dauerausstellung über die Geschichte der Tabakfabrik und des NS-Widerstandes von Tabakarbeiterinnen gearbeitet, die digital erweitert wird.

Galerie

Infobox

Durchführung Projektentwicklung & Führungen: 2015-2019
Konzept & historischer Content: Edith Blaschitz
Techn. Umsetzung: Zentrum für Angewandte Spieleforschung
Gefördert: UWK

 

Literatur

Blaschitz, E.; Buchner, J. (2018). Augmented Reality in der zeitgeschichtlichen Erinnerungs- und Bildungsarbeit. Erinnerungskulturen. Themendossiers zur Didaktik von Geschichte, Sozialkunde und Politischer Bildung, 9: 37-41.

Blaschitz, E. (2018). Digitale Erinnerungstechnologien in der historischen Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Österreich in Geschichte und Literatur (ÖGL), 4: 364-371. 

Blaschitz, E.; Mayr, E.; Oppl, S. (2022). Too Low Motivation, Too High Authority? Digital Media Support for Co-Curation in Local Cultural Heritage Communities. Multimodal Technologies and Interaction, 6. no. 5: 33: https://doi.org/10.3390/mti6050033, mdpi 

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