Bis 2050 will die EU ohne fossile Brennstoffe auskommen. Zugleich scheinen internationale rechtliche Regelungen wie Investitionsschutzabkommen, die ausländischen Investoren besondere Klagsrechte gegen Staaten einräumen, das zu behindern.

Von Gunnar Landsgesell

Bis 2050 hat sich die Europäische Union eine vollständige Dekarbonisierung der Energie zum Ziel gesetzt. Frans Timmermans, EU-Kommissar für Klimaschutz, sagt ganz klar: Fossile Brennstoffe haben „keine Zukunft“. Eine spannende Phase insofern, als sich die EU-Staaten wie auch jene der internationalen Staatengemeinschaft durch eine Kurswende zwischen den Zielen des Pariser Klimaabkommens und zugleich langfristigen Verpflichtungen gegenüber Konzernen befinden, die im fossilen Energiesektor investiert haben. Basis dieser Verpflichtungen sind der Energiecharta-Vertrag und zahlreiche Investitionsschutzabkommen, die Konzernen weitreichende Klagemöglichkeiten gegen die Staaten einräumen, in denen sie investieren. So zog die deutsche RWE gegen die Niederlande wegen des beschlossenen Kohleausstiegs vor ein Schiedsgericht, und der schwedische Energiekonzern Vattenfall klagte Deutschland wegen des geplanten Atomausstiegs. Dabei geht es um Milliardenbeträge.

Michaela Krömer, Rechtsanwältin für Umwelt- und Verfassungsrecht, die bereits mehrere Klimaklagen eingebracht hat, hält solche Investitionsschutzabkommen für eine wahre Baustelle im Bereich Klimaschutz: „Sie gewähren Unternehmen Beschwerdemöglichkeiten, die vertraglich legitim in Anspruch genommen werden können. Das führt zu Spannungen mit nationalem und unter Umständen europäischem Verfassungsrecht.“ Das besondere Problem daran sieht Krömer darin, dass „im Rahmen von nicht öffentlichen Schiedsverfahren Parallelstrukturen geschaffen werden, die im Widerspruch zum Pariser Abkommen stehen können.“ Eine Überarbeitung derartiger Abkommen wäre dringend geboten.

Gerade dieser Tage werden die Verfahren im Zuge von Reformbemühungen der EU-Kommission wieder diskutiert. Nun stellt sich die Frage: Soll der Gedanke eines eigenen Investitionsschutzsystems fortgeführt und quasi in Form eines Investitionsgerichtshof für den EU-Raum institutionalisiert werden? Oder sollte man sich von dieser rechtlichen Sonderform verabschieden und auch Konzerninvestitionen der nationalen Rechtsprechung unterordnen? Denn gerade im Rahmen von Klimaschutz zeigte sich der besondere Investitionsschutz, den Unternehmen genießen, öfters nachteilig für staatliche Initiativen, etwa wenn es um Emissionsreduktion oder Umweltschutz geht. Wie also wirkt sich internationales Recht auf solche Bemühungen aus, werden sie gefördert oder ganz im Gegenteil verhindert?

Gabriel M. Lentner, Assistenz-Professor für Internationales Recht und Schiedsgerichtsbarkeit, möchte darauf bei aller berechtigter Kritik keine einfache Antwort geben. Er verweist darauf, dass das vielfach zahnlose Völkerrecht in diesem Fall durchaus „effizient“ funktioniere: „Obwohl man es hier mit völkerrechtlichen Abkommen zwischen Staaten zu tun hat, stellen sie ein sehr effektives Streitbeilegungssystem dar. Die Ratio Anfang der 1990er-Jahre nach der Wende war: Staaten garantieren einen effizienten Schutz und generieren damit ausländische Investitionen.“ Basis dafür ist der Energiecharta-Vertrag (ECT) und seine Sonderklagerechte für Konzerne. Natürlich werde den Konzernen auch eine gewisse Durchsetzungsmacht gegenüber Staaten eingeräumt, sagt Lentner. Als die deutsche Regierung ein halbes Jahr nach der Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke den Ausstieg beschloss, hatten die Stromkonzerne Eon, RWE und Vattenfall vor dem Bundesverfassungsgericht auf Entschädigung geklagt. Zusätzlich klagte Vattenfall auf Grundlage des ECT vor einem Investor-Staat-Schiedsgericht (ICSID) auf 4,3 Milliarden Euro Entschädigung. Ein kürzlich erfolgter Vergleich kostet die deutschen Steuerzahler rund 2,4 Milliarden Euro. Weltweit sind fast 350 solcher Verfahren anhängig.

„Obwohl man es hier mit völkerrechtlichen Abkommen zwischen Staaten zu tun hat, stellen sie ein sehr effektives Streitbeilegungssystem dar.“

Gabriel M. Lentner

Regulatory chill

Wie aber verhält sich das mit weniger reichen Staaten, könnten enorme Summen wie diese deren Klimaschutzvorhaben bremsen? Das hält auch Lentner für denkbar: „Staaten im globalen Süden könnten in finanzielle Nöte kommen, oder eine Wirtschaftskrise wie jene in Argentinien könnte dadurch verstärkt werden. Das Problem darin ist, dass das zu einem regulatory chill führen könnte. Dass Staaten ambitionierte Maßnahmen, die vor einem Schiedsgericht nicht sicher standhalten, nicht umsetzen, weil das Risiko finanziell sehr hoch ist.“ Selbst in den USA würden Ministerien im Zuge von Gesetzesvorhaben analysieren, ob man sich dem finanziellen Risiko des Investitionsschutzes im Rahmen von NAFTA aussetzen möchte.

Ähnlich bewertet den Einfluss der Kostenfrage auch Jane Alice Hofbauer, Senior Researcher für Internationales Recht an der Universität der Bundeswehr München. Sie verweist auf drei verschiedene Verfahren, die es in den Nullerjahren bemerkenswerterweise in Zusammenhang mit der Rücknahme von klimafreundlichen Maßnahmen gegeben hat: „Italien, Spanien und Tschechien hatten vor Jahren sehr großzügig Solarenergie gefördert, das aber nach der Wirtschaftskrise 2008 beendet. Die Investoren klagten entgangene Gewinne ein. Interessant ist dabei, dass die Verfahren einen ganz unterschiedlichen Ausgang nahmen. Das heißt, das Risiko liegt bei den Staaten, der Ausgang der Verfahren lässt sich nur schwer einschätzen“, so Hofbauer. In der Folge trat Italien aus dem Energiecharta-Vertrag aus. Doch auch nach einem Ausstieg gelten die Verpflichtungen weitere 20 Jahre. Und wenn auch nicht immer die Investoren gewinnen, stellen bereits die Verfahrenskosten eine Belastung dar. Hofbauer: „Die Frage ist grundsätzlich: Wer zahlt für Klimagerechtigkeit? Die Staaten allein, oder müssen die Unternehmen dafür auch einen Teil ableisten?“ Wie Lentner sieht auch Hofbauer ein zentrales Problem hinsichtlich der Schutzstandards in der vagen Formulierung der „fairen und gerechten Behandlung“. Wurden die Investitionen erst kürzlich getätigt, können die Gerichte durchaus argumentieren, dass eine politische Strategieänderung absehbar war.

Hofbauer verweist auch auf den Spielraum bei den Verträgen selbst. „Es gibt eine Tendenz neuer Investitionsverträge, konkret etwa zwischen Marokko und Nigeria. Hier wird explizit beinhaltet, dass Investoren bestimmte Umweltschutzmaßnahmen berücksichtigen müssen. Es ist also durchaus möglich, Menschenrechte und Umweltstandards in diese Verträge zu verhandeln.“ Im Fall der EU-Reformen sieht Hofbauer durchaus Bemühungen, mehr Transparenz reinzubringen. Die Frage, wie die Verträge inhaltlich ausgestaltet und klimafreundlicher werden, sei essenziell. Das diskutierte Investitionsgericht hingegen ist bereits im Entstehen, und zwar im Rahmen von CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada.

„Die Frage ist grundsätzlich: Wer zahlt für Klimagerechtigkeit? Die Staaten allein, oder müssen die Unternehmen dafür auch einen Teil ableisten?“

Jane Alice Hofbauer

Ambitioniertes Gesetzespaket

Das Klimaschutz-Gesetzespaket, das derzeit im Europäischen Parlament beschlossen wird, hält Daniel Ennöckl, Professor für Öffentliches Recht an der BOKU Wien, für „durchaus ambitioniert“: „Hier wird durch Industriestaaten das Pariser Abkommen einigermaßen ernst genommen. Die Frage ist aber, wie man von dem abstrakten Reduktionsziel zu einer Umsetzung kommt. Das Schwierige am Klimaschutz ist, dass man sehr viele Einflussfaktoren hat. Das ist ein Transformationsprozess, der vor keinem Lebensbereich Halt macht.“ Bereits jetzt kann man eine Zunahme von Klagen gegen Regierungen, die zu wenig für Klimaschutz unternehmen, oder Unternehmen, deren Emissionen die Klimaerwärmung beschleunigen, feststellen. Man denke an den peruanischen Bauern, der RWE geklagt hat, weil dessen Kleinstadt Huaraz durch die Gletscherschmelze von einer Flutkatastrophe bedroht ist. (Das Beweisverfahren steckt bislang fest.) Oder an das Urteil von April, als das deutsche Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz als ungenügend beurteilte, weil damit die Freiheitsrechte der nächsten Generation gefährdet wären. Oder an das Urteil eines niederländischen Bezirksgerichts, das vor wenigen Wochen Shell verpflichtet hat, die weltweit vom Unternehmen verursachten CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu senken. Auch wenn das Urteil bislang nicht rechtskräftig ist, hält Ennöckl es für „revolutionär“. Erstmals wurde eine Klimaklage gegen ein Unternehmen erfolgreich geführt.


MICHAELA KRÖMER
Mag. Michaela Krömer, LL.M (Harvard) ist Rechtsanwältin für Umwelt- und Verfassungsrecht sowie Grund- und Menschenrechte. Ihre Klimaklage für ein Recht auf Zukunft wurde vom Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen und ist beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

GABRIEL M. LENTNER
Dr. Gabriel M. Lentner ist seit 2018 Assistenzprofessor für Internationales Recht und Schiedsgerichtsbarkeit am Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen der Donau-Universität Krems und seit 2014 Fellow an der Stanford Law School.

JANE ALICE HOFBAUER
Mag. Dr. Jane Alice Hofbauer, LL.M. ist Senior Researcher für Internationales Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Universität der Bundeswehr München und externe Lehrbeauftragte am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung an der Universität Wien.

DANIEL ENNÖCKL
Dr. Daniel Ennöckl, LL.M. ist Assoz. Professor für öffentliches Recht an der Universität für Bodenkultur in Wien und seit 2018 Leiter der Forschungsstelle Umweltrecht. Er absolvierte ein Postgraduate-Studium EURO-JUS – LL.M. an der Donau-Universität Krems.

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