Pharmaunternehmen, die Covid-19-Impfstoffe produzieren, wehren sich gegen eine mögliche Aufhebung der Patent- und IP-Schutzrechte. Dabei wäre ihre Kooperationsbereitschaft im Falle der Aufhebung eine Voraussetzung, damit andere Unternehmen ihre Impfstoffe nachbauen können.

Von Alexandra Rotter

Die Welt diskutiert, ob Patente und IP-Schutzrechte auf Corona-Impfstoffe für einen begrenzten Zeitraum ausgesetzt werden sollen. Einen Vorschlag dazu brachten bei der Welthandelsorganisation WTO einige Staaten, darunter Indien und Südafrika, ein: Sie fordern im Rahmen der TRIPS-Vereinbarung (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) einen Waiver, also die Aufhebung der IP-Schutzrechte für Covid-19-Impfstoffe. Das könnte den Befürwortern zufolge zur Produktion von mehr Impfstoff führen und würde Entwicklungs- und Schwellenländern helfen, die bei der Impfstoff-Verteilung bislang weit zurückstanden.

Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten bei Ärzte ohne Grenzen Österreich, spricht sich für die Patentaufhebung auf Zeit aus: „Wir haben einen klar identifizierbaren Bottleneck: Es fehlen uns die Impfstoffe und sie werden uns weiterhin fehlen.“ Es brauche 12 bis 13 Milliarden Impfdosen, um die Hälfte der Weltbevölkerung mit zwei bis drei Teilimpfungen innerhalb eines Jahres zu versorgen. Laut Robin Rumler, Geschäftsführer von Pfizer Austria und Vizepräsident des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs (PHARMIG), werde die weltweite Impfstoffproduktion aller Produzenten auf 11 Milliarden Dosen für 2021 erhöht: Das reiche aus, „um die erwachsene Bevölkerung rund um den Globus zu impfen“. Eine Patentaussetzung hält er daher für unnötig.

Erinnerung an HIV-Krise

Marcus Bachmann sieht das anders: Derzeit sterben rund 10.000 Menschen pro Tag an Covid-19 und das, obwohl es zugelassene wirksame Impfstoffe gibt. Die Situation erinnert ihn an die HIV/Aids-Krise. Er erzählt von einem Einsatz in Simbabwe als Projektleiter für Ärzte ohne Grenzen: „Ich habe geschwitzt, als ich die Planung für 2009 machen musste, weil die Behandlung eines Menschen mit HIV-Medikamenten für ein Jahr ca. 10.000 Dollar kostete.“ Deshalb konnte nur ein Teil der Infizierten behandelt werden – Hunderttausende starben, weil die Medikamente für sie bzw. ihre Länder unleistbar waren. Bachmann: „Während HIV im globalen Norden schon am Weg zu einer chronischen Krankheit war, blieb es eine Killer-Disease im globalen Süden.“ Dann wurde ein Patentpool (Medicine Patent Pool, MPP) geschaffen, der es auch Generika-Herstellern erlaubte, die Medikamente zu produzieren. So sanken die Kosten für HIV-Medikamente laut Bachmann auf 100 Dollar pro Person und Jahr: „Wir konnten plötzlich 100-mal mehr Patientinnen und Patienten behandeln.“

Die pharmazeutische Industrie argumentiert: Selbst wenn Impf-Patente aufgehoben würden, gäbe es nicht genug Rohstoffe. Laut Robin Rumler braucht es zur Herstellung des Biontech-Pfizer-Impfstoffes 280 Materialien bzw. Komponenten: „Im Moment wird praktisch jedes Gramm des produzierten Rohmaterials sofort in unsere Produktionsanlagen geliefert, hier wird der fertige Impfstoff produziert und in die ganze Welt – derzeit 91 Länder – geschickt.“ Ein Aussetzen von Patentrechten berge die Gefahr, dass Roh- und Hilfsstoffe von bereits gut etablierten, effektiven Lieferketten zu weniger effizienten Produktionsstätten umgeleitet würden, wo Produktivität und Qualität ein Problem darstellen könnten. Rumler weiter: „Die neuartigen Impfstoffe sind so komplex, dass Dritte sie nicht ohne Unterstützung der Entwickler herstellen könnten.“ Haupthemmnis seien neben Rohstoffmangel fehlende Produktionsstätten und Mangel an Fachkenntnissen.

 

TRIPS-Vereinbarung

 

Zweifel an Rohstoff-Knappheit

Marcus Bachmann will diese Argumente entmystifizieren: „Die Herstellung biologischer Arzneimittel ist kompliziert und anspruchsvoll, aber: It’s not rocket science either.“ Es gebe etwa hochqualifizierte Top-Pharma-Produktionsstätten in Indien – inklusive Aufsichts- und Regulierungsbehörden. Doch wenn Pharma-Unternehmen komplett unkooperativ seien und etwa nur verschriftliche Dokumente weitergeben würden, dauere es länger und sei komplizierter, solche Prozesse aufzusetzen. Rumler bestätigt: „Durch das Aussetzen des Schutzes des geistigen Eigentums erhielten andere Unternehmen zwar die Blaupause für den Impfstoff, jedoch nicht die im freiwilligen Technologietransfer entstandene Zusammenarbeit, den Know-how-Transfer, den Austausch von Fachwissen und die Ausbildung von Fachpersonal.“ Zu den Rohstoffen sagt Marcus Bachmann, er habe trotz Bemühens noch keine Liste dieser Rohstoffe zu Gesicht bekommen und bezweifelt, dass sie alle knapp sind.

Aus Sicht von Clemens Appl, Leiter des Zentrums für Geistiges Eigentum, Medien und Innovationsrecht an der Donau-Universität Krems, ist der Patent- und IP-Schutz innovationstreibend: „Der Patentschutz fördert und belohnt Innovation zum Preis der Offenlegung der Erfindung. Das Incentive ist die exklusive Verwertung für einen gewissen Zeitraum.“ Beim Patentrecht sind das 20 Jahre bzw. für Pharmaunternehmen bis zu 25 Jahre ab Anmeldung. Auch das Urheberrecht spiele bei Impfstoffen eine Rolle, etwa bei hochspezialisierter Analysesoftware. In der Debatte werde zudem der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zu wenig diskutiert. Appl: „In einer Patentschrift für einen Impfstoff ist das Verfahren – oder bei einem Stoffschutz der Stoff an sich – beschrieben. Das erforderliche Know-how aber, welche Maschinen und Konfigurationen ich zur Herstellung brauche, auf welche Zulieferer ich zurückgreifen muss, welche Qualitätssicherungsparameter erforderlich sind, welche Software eingesetzt wird oder was die optimale Temperatur für die Lagerung ist, findet sich dort nicht.“ Blieben begleitende Maßnahmen aus, um Mitbewerbern dieses Knowhow zugänglich zu machen, könnten diese mit einer Patentschrift in der Regel wenig anfangen.

„Wir haben einen klar identifizierbaren Bottleneck: Es fehlen uns die Impfstoffe und sie werden uns weiterhin fehlen.“

Marcus Bachmann

Pharmaunternehmen motivieren

Appl hält es für wichtig, Pharmaunternehmen Anreize für Forschung und Entwicklung (F&E) zu bieten und daher Schutzrechte aufrechtzuerhalten. Dennoch sieht er die Länder, in denen Impfstoffe entwickelt wurden, in der Verantwortung: „Gesellschaft und politisch Verantwortliche müssen sicherstellen, dass die Länder, die sich einen europäischen Marktpreis nicht leisten können, nicht zu kurz kommen.“ Zwangslizenzen wären zwar eine Möglichkeit, doch sie könnten nur von einzelnen Staaten beschlossen werden und würden nicht zwingend zur vermehrten Produktion in erforderlicher Güte führen. Sinnvoller sei es, Incentives zu schaffen, damit es zu freiwilligen Lizenzierungen und einem Knowhow-Transfer komme bzw. könnte etwa die EU Lieferverträge nur mit Unternehmen abschließen, die ihre eigenen und fremde Produktionskapazitäten ausschöpfen, um auch Entwicklungsländer zu leistbaren Preisen mit Impfstoffen zu versorgen. Biontech/Pfizer will sich hier nichts vorwerfen lassen und kann laut Robin Rumler in den nächsten 18 Monaten rund zwei Milliarden Dosen seines Impfstoffs Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung stellen.

Ärzte ohne Grenzen zufolge sind mehr als zehn Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in die F&E der sechs Frontrunner-Covid-Impfstoffe geflossen. Leider gibt es laut Marcus Bachmann keine Aufschlüsselung, wie viel die Entwicklung der Impfstoffe gekostet hat, doch die pharmazeutische Industrie spreche meist von ein bis zwei Milliarden Dollar pro Blockbuster-Medikament. Somit liege auf der Hand, dass die Entwicklung der Corona-Impfstoffe „von uns Steuerzahlerinnen und -zahlern getragen wurden“. Doch die Regierungen – auch Österreich – habe keine Bedingungen an den Erhalt der Fördergelder geknüpft. Dabei wäre es laut Bachmann einfach, von Unternehmen, die Förderungen beantragen, Vorschläge zu verlangen, worin ihr weltweiter Public Return on Public Investment liege. Das könne etwa die Vereinbarung von Höchstpreisen sein oder die Bereitschaft, Patente für Schwellenländer auszusetzen und die Produktion durch Generika-Hersteller zuzulassen. Jetzt aber lägen Impfstoffe, „die durch massive öffentliche Förderung erforscht und entwickelt werden, in der Hand einiger weniger Unternehmen, die dann – wenn auch aus ihrer Sicht verständlich – rein unternehmerisch entscheiden, wie sie mit dem Produkt umgehen, wie viel sie davon produzieren und wem sie es zu welchen Preisen verkaufen."


ROBIN RUMLER
Prof. Dr. med. Robin Rumler ist Geschäftsführer der Pfizer Corporation Austria und Vizepräsident des Verbands der österreichischen Pharmaindustrie, PHARMIG. Rumler hat Humanmedizin an der Universität Wien studiert, arbeitete als Assistenzarzt und bei diversen Pharma-Unternehmen, u.a. bei AstraZeneca..

CLEMENS APPL
Univ.-Prof. Ing. Dr. Clemens Appl, LL.M. ist Leiter des Zentrums für Geistiges Eigentum, Medien- und Innovationsrecht an der Donau-Universität Krems. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. Urheber-, Wettbewerbs-, Software- und Datenrecht, gewerblicher Rechtsschutz, Knowhow- und Personendatenschutz.

MARCUS BACHMANN
Marcus Bachmann ist Berater für humanitäre Angelegenheiten bei Ärzte ohne Grenzen Österreich. Er koordinierte Nothilfe-Aktivitäten im Ausland, u.a. in Kirgisistan, Bangladesch und Südsudan. Der Experte für Qualitäts- und Prozessmanagement hat jahrelange Berufserfahrung in der Pharma-Industrie.

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