Faire Entlohnung und keine verwässerten Richtlinien – so lauten unter anderem die Forderungen der österreichischen Kreativszene. Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbands der österreichischen Musikwirtschaft, über die Umsetzung und Auswirkungen der EU-Copyright-Richtlinie auf die österreichische Musikwirtschaft.
Interview: Michaela Schierhuber
upgrade: Welche Erwartungen hat die Musikbranche an die EU-Urheberrechtsrichtlinie seit ihrem Beschluss durch das EU-Parlament im Jahr 2019 geknüpft?
Franz Medwenitsch: Unsere Erwartungen an die Copyright-Richtlinie und an deren Umsetzung in Österreich könnten höher nicht sein. Es geht ohne jede Übertreibung um die Zukunft der Musikwirtschaft und der gesamten Kreativ- und Medienwirtschaft in Europa. Klares Ziel der Richtlinie ist das Schließen der sogenannten „Wertschöpfungslücke“ durch eine faire wirtschaftliche Teilhabe der Contentbranchen an den Milliardenerträgen der Sharing-Plattformen, wie etwa YouTube, Facebook oder TikTok. Die EU-Richtlinie sagt, dass die Plattformen urheberrechtliche Verantwortung tragen und Lizenzen für geschützte Inhalte bezahlen sollen. Wir erwarten uns vom österreichischen Gesetzgeber, dass er die Plattformhaftung richtlinienkonform umsetzt und sie nicht verwässert.
Obwohl mit 7. Juni 2021 die Umsetzung der Richtlinie in Österreich hätte vorliegen sollen, gibt es noch kein Gesetz, am 3. September ist nun ein Ministerialentwurf veröffentlicht worden. Ihrer Einschätzung nach, woran liegt die Verzögerung und wie wird es weitergehen?
Medwenitsch: Das Justizministerium hat bei der Umsetzung der Copyright-Richtlinie anfangs lange gezögert und ist nun etwas in Zeitnot geraten. Aber es geht nicht nur um zeitliche, sondern vor allem um inhaltliche Fragen, die noch einer Diskussion bedürfen. Wenn dadurch aber die Qualität des Gesetzes verbessert werden kann, sind ein paar Monate mehr an Vorbereitungszeit gut investierte Zeit.
Was waren vor dem ersten Entwurf die Wünsche der Musikbranche in Hinblick auf die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie und unterscheiden sich diese vom Status quo durch die Veröffentlichung des Ministerialentwurfs?
Medwenitsch: Wir wollten immer eine korrekte Umsetzung möglichst nahe am Text der Richtlinie, die auf EU-Ebene über drei Jahre unter Beteiligung aller Stakeholder mehr als intensiv verhandelt wurde. Das heißt eine klare urheberrechtliche Verantwortung der Tech-Riesen ohne Wenn und Aber. Beim Urhebervertragsrecht stellt niemand infrage, dass die Kunstschaffenden fair zu entlohnen sind. Aber die Grundprinzipien der Vertragsfreiheit, der Rechtssicherheit und der Kalkulationssicherheit dürfen nicht über Bord geworfen werden. An diesen Grundsätzen orientiert sich unsere Bewertung der Entwürfe des Justizministeriums.
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„Die Plattformhaftung ist so nicht akzeptabel, aber sonst ist die Novelle im Großen und Ganzen auf einem guten Weg.“
Franz Medwenitsch
Die ersten bekannten Gesetzesentwürfe haben recht große Kritik in der Musikbranche hervorgerufen – sind diese Vorwürfe mit dem Ministerialentwurf noch aufrecht?
Medwenitsch: Die ersten Vorschläge aus dem Justizministerium waren einseitig und zulasten der Kreativwirtschaft stark unausgewogen. Teilweise verfehlten sie die Ziele der Richtlinie oder sie waren überschießend im Sinne eines „Gold-Platings“. Der aktuell versandte Begutachtungsentwurf zeigt an mehreren Stellen deutliche Verbesserungen und ist auch ausgewogener als frühere Entwürfe. Leider ist der Umsetzungsvorschlag zur Plattformhaftung in zwei ganz entscheidenden Punkten weiterhin höchst problematisch. Konkret würden nach dem Vorschlag des Justizministeriums Ausschnitte bis zu 15 Sekunden Video oder Ton faktisch rechtefrei gestellt und mit dem sogenannten „Pre-Flagging“ eine Art Freibrief für Rechtsverletzungen eingeführt werden. Diese neuen Schlupflöcher würden wieder nur die milliardenschweren Sharing-Plattformen begünstigen und den Kreativbranchen schaden. In der Richtlinie findet sich darüber kein Wort. Hier erwarten wir uns im Begutachtungsverfahren klare Verbesserungen.
Wie stark kann Ihrer Einschätzung nach von den betroffenen Kreativbranchen nachverhandelt werden?
Medwenitsch: Wir sind seit mehr als zwei Jahren im Gespräch über die nationale Umsetzung der Richtlinie. Unsere Aufgabe ist es, mit Daten, Fakten und Erfahrungswerten begründete Argumente zu liefern und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Justizministerium und andere Regierungsstellen müssen diese Informationen bewerten. Selbstverständlich erwarten wir uns eine Novelle, die sich an den Bedürfnissen der Praxis orientiert und nicht an ideologischen Zugängen.
Was ist aus Sicht der Musikbranche bei der Umsetzung des Entwurfs geglückt?
Medwenitsch: Die Plattformhaftung ist so nicht akzeptabel, aber sonst ist die Novelle im Großen und Ganzen auf einem guten Weg. Die neuen und in der Richtlinie nicht enthaltenen Schlupflöcher für kleine Ausschnitte und das „Pre-Flagging“ sind allerdings inakzeptabel. Die Plattformhaftung würde dadurch zu einem ineffizienten und für die Praxis unbrauchbaren Papiertiger.
Welche Auswirkungen hätte die Urheberrechtslinie in der momentanen Fassung des Ministerialentwurfs aus Sicht der österreichischen Musikwirtschaft auf die Branche?
Medwenitsch: Wenn die Plattformhaftung repariert und richtlinienkonform umgesetzt wird, dann können die Musiklabels mit den großen Sharing-Plattformen auf Augenhöhe verhandeln und endlich faire Vergütungen für ihre Inhalte erzielen.
Nur in Deutschland, Malta, den Niederlanden und Ungarn wurde die EU-Richtlinie bereits verabschiedet: Haben diese Gesetze Ihrer Meinung nach die Interessen der Musikwirtschaft dort berücksichtigt und könnten diese als Vorbild für Österreich dienen?
Medwenitsch: Die bisherigen Umsetzungsgesetze zeigen ein sehr unterschiedliches Bild. Die Niederlande etwa haben zwar im Rat gegen die Richtlinie gestimmt, diese dann aber fristgerecht, korrekt und eng am Text der Richtlinie umgesetzt. Deutschland ist hingegen die große und singuläre Ausnahme mit einer sehr eigenwilligen Interpretation der Richtlinie, die sowohl in Deutschland als auch innerhalb der EU für große Skepsis und Ablehnung sorgt. Vor allem die 15-Sekunden-Bagatellgrenze und das Pre-Flagging werden als richtlinien- und verfassungswidrig massiv kritisiert. Viele Expert_innen verstehen nicht, weshalb sich der österreichische Gesetzgeber gerade an der deutschen Umsetzung orientiert und nicht an der Richtlinie selbst.
In der Vergangenheit wurden Befürchtungen laut, dass individuelle Musikschaffende womöglich schwerer einen persönlichen Zugang zu den angedachten Lizenzverträgen bekommen könnten. Welche Anstrengungen können dazu getroffen werden, um ein möglichst breites kreatives Spektrum abbilden zu können?
Medwenitsch: YouTube hat zwei Milliarden User weltweit und jede Minute werden rund 400 Stunden Videomaterial hochgeladen. Da muss man sich um die verfügbare Breite des kreativen Spektrums keine Sorgen machen. Auf Grundlage einer korrekten Richtlinienumsetzung sollte sich die Möglichkeit der Monetarisierung von Inhalten deutlich verbessern.
Dr. Franz Medwenitsch hatte von 1985 bis 1995 im ORF Funktionen in den Bereichen Redaktion, Produktion und Justiziariat inne, leitete organisatorisch die ORF-Programmdirektion Fernsehen und war Leiter der Produktions- und Auslandswirtschaft. Seit 1995 ist Medwenitsch Geschäftsführer des Verbands der österreichischen Musikwirtschaft – IFPI Austria und der Verwertungsgesellschaft LSG. Der studierte Jurist ist Mitglied des ORF-Stiftungsrats und des Aufsichtsrats der Bundestheater- Holding. Er war Mitinitiator des Weiterbildungslehrgangs Music Management und lange Zeit Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats am Zentrum für angewandte Musikforschung der Universität für Weiterbildung Krems.
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