Im Schatten der Wiener Klassik und der Musik bei Hofe sind Klöster als wichtige Knotenpunkte des musikalischen Austauschs zwischen Tschechien und Österreich in Vergessenheit geraten. Das Projekt „Musik, die verbindet“ rückt diese Facette wieder ins Bewusstsein.
Von Astrid Kuffner
Mozart, Beethoven und Haydn, die Stars der Wiener Klassik, stehen bis heute im Scheinwerferlicht. Es gibt Jubiläen zu feiern und Gesamtwerke zu vertonen, sie werden weltweit aufgeführt und gehört. Doch auch die Proponenten der Wiener Klassik kamen nicht aus dem Nichts. Sie hatten Wegbereiter, deren Namen und Werke „zu Unrecht von diesen großen Namen überstrahlt werden“, betont EvaMaria Stöckler, Leiterin des Zentrums für Angewandte Musikforschung. Alle drei pflegten im 18. Jahrhundert mehr oder weniger intensive musikalische Beziehungen ins Nachbarland Tschechien. Stöckler, die das Department für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Universität für Weiterbildung Krems leitet, stieß im Rahmen eines Forschungsprojekts zu den musikalischen Sammlungen der Klöster Klosterneuburg, Göttweig und Melk (2017 bis 2019) auf etliche Zeugnisse des regen musikalischen Austauschs zwischen Österreich und Tschechien. Besonders intensiv war dieser 1750 bis 1850. Die traditionell guten Verbindungen zwischen den beiden Ländern, gerade auch zu den Zentren des Instrumentenbaus in Böhmen, verflachten nach dem Ersten Weltkrieg – und rissen 1945 endgültig ab.
Klöster als Hotspots der Musikkultur
An den kirchlichen Knotenpunkten des 18. und 19. Jahrhunderts wurde Musik komponiert und in Auftrag gegeben, gespielt und bearbeitet. Musiker_innen und Instrumente, Talente und Taler waren unterwegs. Nicht nur die Residenzstädte mit ihren Höfen, die Garnisonsstädte mit ihren Militärkapellen, auch Klöster waren Hotspots des Musikschaffens. Die Mönche waren selbst oft musikalisch tätig, ließen Bearbeitungen machen oder nahmen sie selbst vor. Fixpunkte des Kirchenjahres, wiederkehrende Feste, die liturgische Praxis mit Messen, Begräbnisse, der Empfang von Gästen oder Weihen bedurften der musikalischen Untermalung.
Im Interreg-Projekt „Hudba, která spojuje … / Musik, die verbindet …“ sollen die in Klöstern konservierten Schätze, neben anderen unbekannten Werken, vor dem Vergessen bewahrt werden – in Form moderierter Konzerte. Das Projekt baut dabei auf die langjährige Kooperation der Universität für Weiterbildung Krems mit der Masaryk-Universität in Brno und dem zu der tschechischen Universität gehörigen Forschungszentrum in Telc.
Lasst Rechnungsbücher sprechen
Der Austausch mit dem benachbarten Böhmen wird anhand des Recherchemottos „follow the money“ deutlich. Die Rechnungsbücher sprechen eine deutliche Sprache: Minutiös wurde verbucht, wer in welcher Funktion beschäftigt wurde. Wofür in welchem Kontext wie viel Geld bezahlt wurde. Wer Musik notierte und wer sie praktizierte. „Musik war immer sehr mobil, Musikschaffende sind herumgereist und wurden in Klöster eingeladen. Der ‚Verbrauch‘ von Musik im liturgischen Kontext war recht hoch“, erklärt Eva Maria Stöckler. Die großen Klöster waren international ausgerichtet, leisteten sich eigene Gesangsschulen, wollten Neues schaffen und Aktuelles aufgreifen. Auf Notenblättern wurde dasselbe Werk oft an unterschiedlichen Orten, mit verschiedenen Instrumentierungen, notiert: „So wurden Werke an die Verhältnisse und die ‚Ausstattung‘ vor Ort angepasst. Wir haben Mozartopern in Streicherbesetzung gefunden“, weiß die Forscherin. Namen, die man heute nicht mehr kennt, sind etwa der Haydn-Schüler und Geigenlehrer Anton Wranitzky oder Johann Baptist Vannhal, Violinist an der Wiener Hofoper.
Nach der coronabedingten Pause sind die gemeinsamen Aktivitäten in beiden beteiligten Ländern wieder angelaufen. Der enge Austausch von Musiker_innen einerseits und Musikwissenschaftler_innen andererseits ist im Endspurt. Was spielt man? Wie spielt man es? Und was gibt es dazu zu erzählen?, sind die Fragen, die in der Forschungskooperation anhand der bereits aufbereiteten Quellen geklärt werden. An den historischen Orten des Geschehens soll „Musik aus unseren Breiten“, aus dem Spätbarock und der Frühklassik, aufgeführt werden. Dabei wird es Premieren noch nie edierter Stücke geben und erstmalige Wieder-Aufführungen längst verklungener Noten. Zu Gehör gebracht werden etwa ein Lied aus einem bislang unbekannten Liedzyklus von Josef Strauss (1827–1870) oder ein Werk des früh verstorbenen Komponisten Marian Paradeiser (1747–1775).
Die Konzerttournee wird begleitet von musikwissenschaftlichen Lectures und umgesetzt vom Kremser Streichquartett Sophie Kolarz-Löschberger, Gregor Reinberg, Severin Endelweber und Bertin Christelbauer. Mit an Bord sind auch Solo- Sänger Vladimír Richter, Spezialist für die authentische Aufführung alter Musik, und Petr Hala, Klaviersolist und Kammermusik-Experte.
Die Wegbereiter der Klassik als „zweite Reihe“ oder „Kleinmeister“ abzutun wird ihnen nicht gerecht, meint Stöckler: „Es ist mir ein großes Anliegen, diese reiche, aber vergessene Musikkultur aufzubereiten. Die Namen kennt man heute nicht mehr und wir wollen sie wieder ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Es gibt noch viele musikalische Schätze zu heben.“
EVA MARIA STÖCKLER
Die Musikwissenschaftlerin Dr.in Eva Maria Stöckler leitet das Department für Kunst- und Kulturwissenschaften sowie dort das Zentrum für Angewandte Musikforschung und die Sammlung Mailer/ Strauss-Archiv an der Universität für Weiterbildung Krems.
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