Die Systemrelevanz von Kunst und Kultur ist keine Folge der Pandemie, sondern von ganz grundsätzlicher Bedeutung.
Ein Kommentar von Ulrike Sych
Die Pandemie hat den Blick auf Kunst und Kultur auf besondere Weise geschärft: Während Theater, Konzerthäuser und Opern geschlossen wurden, haben Künstler_innen in Eigeninitiative neue Entfaltungsräume eröffnet, haben Menschen in aller Welt daheim zu musizieren begonnen, auf Balkonen gesungen, Geschichten erzählt – haben auf vielfältige Weise Kunst produziert und rezipiert und dabei Trost und Beistand gefunden. Die enorme Stärke der Kunst ist just in dem Moment umso klarer ersichtlich geworden, als sie durch die Krise geschwächt, ihr ausgeliefert war.
Die Systemrelevanz von Kunst und Kultur ist allerdings keine Folge der Pandemie, sondern von ganz grundsätzlicher Bedeutung: Unsere Gesellschaft ist heute auf besorgniserregende Weise von Populismus, von Ungleichheit und einer zunehmenden Ökonomisierung und Verwertung von Wissen bedrängt. Zugleich ist sie tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt, die Künstler_ innen mit kreativer gestalterischer Kraft begleiten. Mit Kunst und Wissenschaft haben wir zentrale Mittel an der Hand, um gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Transformationsprozesse zu begreifen und aktiv mitzugestalten. Kunst schafft Dialogangebote, die zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Ein freier Zugang zu Kunst und Kultur ist daher im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung ein wesentliches Element unserer Demokratie.
Es reicht also nicht, im post-pandemischen Kulturverständnis für eine angemessene und dringend notwendige Absicherung der Kunstschaffenden zu sorgen – sondern es sind darüber hinaus alle Kultur- und Bildungsinstitutionen gefordert, der Kunst eine starke Stimme zu geben und sich für gleichwertige Bildungschancen der heranwachsenden Generationen einzusetzen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass der Zugang zu Kunst und Kultur nicht das Privileg weniger, sondern für alle frei ist. Ein qualitativer Musik- und Kunstunterricht für Kinder und Jugendliche an allen österreichischen Schulen ist daher von größter Relevanz – nicht nur, um ein aufgeklärtes, offenes Publikum der Zukunft auszubilden, sondern weil wir auf kreative Menschen angewiesen sind, ganz unabhängig davon, in welchen Berufen sie arbeiten. Kunstunterricht schärft den Blick für das Andere, für Vielfalt und Diversität. Durch die Beschäftigung mit Musik, sei es durch gemeinsames Singen oder das Erlernen eines Instruments, erwirbt man zahlreiche soziale und kognitive Kompetenzen, die für eine von Chancengleichheit geprägte Gesellschaft von enormer Bedeutung sind.
Kunst und kulturelle Bildung dürfen nicht der politischen Krisenbewältigung zum Opfer fallen – wir müssen sie vielmehr als zentrale Ressourcen erkennen, die uns dabei helfen, den globalen Herausforderungen unserer Zeit innovativ zu begegnen.
ULRIKE SYCH
Mag.a art. Ulrike Sych ist Sängerin, Gesangspädagogin und Rektorin der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie studierte Musikpädagogik mit den Hauptfächern Gesang und Klavier am Mozarteum Salzburg und setzte anschließend ihre Ausbildung zur Sängerin in New York und Italien fort. 2007 folgte sie einer Einladung an die Anton Bruckner Privatuniversität, wo sie das Institut für Gesang und Musiktheater leitete. Neben ihren universitären Verpflichtungen entfaltete sie eine internationale Konzerttätigkeit.
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