Ist Digitalisierung die Antwort auf die pandemiebedingte Krise? Wie das Museum langfristig seine Relevanz für die Gesellschaft und den Platz darin behaupten kann und welche Rolle Partizipation dabei zukommt.

Von Ute Strimmer

Die Corona-Pandemie stellte die Museumslandschaft während der Lockdowns vor eine noch nie dagewesene Herausforderung: Was tun, wenn sich Kunst und Kultur allein auf das Virtuelle beschränkt? Wie wirkte sich die Schließzeit auf die Institutionen und das Publikum aus? Wo wurden neue Wege beschritten? Und wie lange werden uns die Folgen von Corona noch begleiten?

Anja Grebe, Universitätsprofessorin für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften an der Universität für Weiterbildung Krems, veranstaltete gleich zu Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 zwei große Online-Symposien zu Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Museen. „Die Digital-Konferenzen waren für uns ein überwältigender Erfolg und zeigten den immensen Bedarf von Kolleg_ innen aus Museen und Universitäten, sich über das Thema auszutauschen“, erzählt die Museumsexpertin rückblickend. „Wir haben beobachtet, dass es nach dem ersten Schock einen richtigen Digitalisierungsschub, fast schon eine Digitalisierungshektik gab; alle verfügbaren Daten wurden zum Teil ins Internet gestellt. Mit der Zeit reflektierten die Häuser mehr. Was funktioniert? Was passt zu uns und unserem Publikum? Wo möchten wir hin? Und wie schaffen wir das?“, berichtet sie weiter. 2019 gab es eine Umfrage des Österreichischen Museumsbundes zum Status der Digitalisierung in österreichischen Museen. Gerade einmal 18 Prozent der hauptamtlichen und vier Prozent der ehrenamtlich geführten Museen hätten damals eine digitale Strategie gehabt und sich substanzielle Gedanken darüber gemacht, erzählt Anja Grebe. „Nur 1,5 Prozent der hauptamtlich geführten Museen hatten 2019 ihre digitale Strategie veröffentlicht. Die Situation hat sich nun durch Corona stark verändert: Viele Häuser arbeiten jetzt an ihrer digitalen Strategie und definieren Ziele dazu. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist es allerdings, Personalkompetenzen aufzubauen. Sehr viel in dem Bereich läuft noch über Outsourcing. Hier spielt die Abwägung von Ressourcen eine große Rolle“, erklärt Grebe weiter. Corona habe in jedem Fall gezeigt, dass sich Besuchs- und User_innenzahlen nicht bis ins Unendliche haben steigern lassen. „Die Zugriffe sind anfangs sehr hochgeschnellt, haben sich dann aber relativ konstant gehalten.“ Was sich allerdings beeinflussen ließe, sei die Qualität der Besuche, die Tiefe der Beschäftigung mit den Objekten – und die Art, wie sie präsentiert würden. „Die Digitalisierung bietet viel mehr Möglichkeiten an Vertiefung. Hier sehe ich großes Potenzial. Besucher_innen können zum Beispiel Kunstwerke heranzoomen und Details erkennen, die man mit bloßem Auge und gar durch eine Museumsvitrine nicht sehen kann. Das ist eine inhaltliche Erweiterung im digitalen Raum“, sagt Grebe.

„Nur 1,5 Prozent der hauptamtlich geführten Museen hatten 2019 ihre digitale Strategie veröffentlicht. Die Situation hat sich nun stark verändert.“

Anja Grebe

Nicht mehr bedrohlich

Die digitale Transformation ist also nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie mittlerweile im Museum eine Alltäglichkeit geworden und wie in allen anderen Bereichen aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Das bestätigt auch Wolfgang Muchitsch, der im vergangenen Herbst bereits zum vierten Mal als Präsident des Museumsbundes Österreich gewählt wurde: „Die Digitalisierung ist eine gute und sinnvolle Ergänzung und Erleichterung in unserer Museumsarbeit und hat nicht mehr diese Bedrohung wie noch vor zwei Jahren. Die Pandemie hat dazu geführt, dass sich Entwicklungen, die schon absehbar gewesen sind, beschleunigt haben. Wie die digitale Transformation im Museum“, so Wolfgang Muchitsch. Diese zeige verschiedenste Auswirkungen, man habe zusätzliche Angebote für die Besucher_innen entwickelt, erklärt der Museumsfachmann. „Dabei geht es allerdings nicht darum, analoge Programme eins zu eins ins Digitale zu übertragen, sondern eigene digitale Vermittlungsangebote zu erstellen. Wir fragen uns, wie man intensiver mit Besucher_innen kommunizieren kann. Die digitale Transformation hat aber auch in die Arbeit an und mit unseren Sammlungen eingegriffen: Sie hat diese digital zur Verfügung gestellt und damit zeitlich und örtlich unabhängig sowie barrierefrei zugänglich macht. Das Museum ist jetzt hybrid und wird es bleiben“, sagt Muchitsch.

Echter Dialog

Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe und Präsident des Deutschen Museumsbundes, rechnete schon während des ersten Lockdowns damit, dass uns die Folgen der Pandemie noch länger begleiten würden. Er riet daher weitsichtig: „Wir sollten uns jetzt schon auf die Zeit des nächsten und übernächsten Jahres konzentrieren.“ Köhne führt hier Digitalisierungsstrategien und die Erweiterung von Online-Angeboten der Museen an: „Bei uns im Haus haben wir seit einigen Jahren den digitalen Wandel sehr forciert, ja vorangetrieben und im Zuge dessen die digitale Kommunikation. Damit waren die Rahmenbedingungen schon gesetzt. Nichtsdestotrotz haben wir unser Engagement weiter verstärkt und neue Formate entwickelt – genauso wie viele andere Häuser. Bei den Silver Surfern seien vermehrt digitale Aktivitäten zu verzeichnen: „In dieser Altersgruppe steht vor allem reine Information im Vordergrund. Filme zum Beispiel werden nicht ganz so stark rezipiert wie bei jüngeren Jahrgängen.“ Bei der Weiterentwicklung digitaler Inhalte setzt Eckart Köhne klar auf partizipative Modelle. „Wir brauchen Formate, die eine Interaktion zwischen Museum und Gesellschaft ermöglichen. Museen sind gewöhnt, Inhalte gut aufzubereiten, um zu zeigen und zu präsentieren. Das ist allerdings eine einseitige Sender-Empfänger-Kommunikation. Gerade die Leute, die sich über soziale Medien austauschen, wollen sich einbringen. Wie wichtig gerade das Thema Partizipation ist, sehen wir bei unserem Bürger_innenbeirat, den wir gegründet haben: Vor allem die jüngeren Generationen haben ein großes Interesse, ihre Individualität und ihre Vorstellungen in einen echten Dialog einzubringen“, sagt der Präsident des Deutschen Museumsbundes.

Neuinterpretation grundsätzlicher Aufgaben

Dass wir uns auf dem Weg zu einer musealen Normalität befänden, betont Professor Felix Stalder von der Zürcher Hochschule der Künste. Allerdings erklärt der Spezialist für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung, dass sich diese anders gestalte als vor der Corona-Pandemie. „Viele Menschen haben einen vertieften Umgang mit digitalen Medien erfahren und gesehen, was gut funktioniert hat, aber auch die Grenzen und Defizite der Digitalisierung erkannt.“ Der Kultur- und Medienwissenschaftler rät daher den Institutionen genau zu untersuchen, wo sich Angebote und Möglichkeiten erweitern ließen, um mit dem Publikum über digitale Formate in Kontakt zu treten – und was es Besucher_innen bedeute, physisch vor Ort zu sein. „Telepräsenz hat sich zum Beispiel absolut normalisiert, einen Vortrag über Livestream zu hören wird heute als fast gleichwertig empfunden wie in einem realen Raum zu sitzen“, erklärt der Experte. „Diese digitale Erweiterung ist heute viel selbstverständlicher und wird mehr vom Publikum erwartet.“ Aber auch vor Ort im Museum hat sich der Umgang mit digitalen Medien noch einmal geändert. Besucher_innen teilen sofort Informationen, machen Fotos von den Objekten oder holen sich über QRCodes weiterführende Informationen. Die Grenze zwischen dem realen Raum und dem digitalen Raum werde dabei immer fließender, so Felix Stalder. Die grundsätzlichen Aufgaben des Museums änderten sich aber nicht. Sie machten Sammlungen zugänglich, um damit gesellschaftlich relevante Fragen zu diskutieren, betont der Kultursoziologe.

„Das Museum ist jetzt hybrid und wird es bleiben.“

Wolfgang Muchitsch

Doch die Art und Weise, wie eine vertiefte inhaltliche Reflexion stattfinden könne, sei eine andere geworden. Die Auseinandersetzung bestehe heute nicht mehr im stillen Bewundern eines auratischen Stückes, das präsentiert werde, sondern sei viel umfassender. Eines der bekanntesten Beispiele der Pandemie sei die Einladungen der Museen an die Öffentlichkeit gewesen, sich aus dem digitalisierten Archiv ein Kunstwerk herauszusuchen und es mit Haushaltsgegenständen oder Ähnlichem nachzustellen. „Das ist eine Auseinandersetzung“, so Felix Stadler, „die nicht nur auf Rezeption angelegt ist, sondern selbst kommunikatives Handeln produziert. Das hat die Pandemie sicher noch einmal verstärkt.“

Dr.in Ute Strimmer ist Editor in Chief des Fachmagazins „Restauro“.


ANJA GREBE
Univ.-Prof.in Dr.in Anja Grebe, Universitätsprofessorin für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften an der Universität für Weiterbildung Krems. Sie fungiert dort als Stv. Leiterin des Departments für Kunst- und Kulturwissenschaften.

WOLFGANG MUCHITSCH
Dr. Wolfgang Muchitsch ist Präsident des Museumsbundes Österreich und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Universalmuseums Joanneum in Graz. Er war als Universitätslehrer sowie in den 1990er Jahren für den steirischen Landeshauptmann- Stellvertreter tätig.

ECKART KÖHNE
Prof. Dr. Eckart Köhne ist Präsident des Deutschen Museumsbundes und Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe. Davor war der studierte Archäologe und Historiker Direktor und Geschäftsführer am Historischen Museum der Pfalz in Speyer.

FELIX STALDER
Prof. Dr. Felix Stalder lehrt am Institute for Contemporary Art Research der Zürcher Hochschule der Künste. Er hält dort die Professur für Digital Culture. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Überschneidung von kultureller, politischer und technologischer Dynamik, insbesondere auf neue Formen der gemeinwohlorientierten Produktion.

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