Wie schafft es der künstlerische Nachwuchs zum Erfolg? In den sozialen Medien und am Markt ist die Nachfrage nach junger Kunst zwar stark gestiegen, aber gleichzeitig auch der Konkurrenzdruck. Ohne Eigeninitiative und Unternehmergeist nützt künstlerische Originalität wenig.

Von Nicole Scheyerer

Plötzlich kam wieder Leben in die verlassene Geburtenstation: Während des herbstlichen Kunstevents „Parallel Vienna“ füllten sich die Kreißsäle und Krankenzimmer der leerstehenden Wiener Semmelweis-Klinik mit Gemälden, Fotos, Skulpturen und Installationen. Die Pop-up-Messe findet jedes Jahr an einer anderen Location statt und lockt mit einem Mix aus etablierten und aufstrebenden Positionen. Nicht nur Galerien präsentieren dort ihr Programm, sondern auch Kunstakademien und sogenannte Offspaces, also von jungen Künstler_innen und Kurator_innen selbstorganisierte Ausstellungsräume. Zusätzlich wählt eine Jury jedes Jahr rund dreißig junge Positionen aus, die mit sogenannten „ Artist Statements“ ihr Messedebüt geben.

Auch der Kurator Günther Oberhollenzer von der Landesgalerie Niederösterreich in Krems nutzte die Gelegenheit. „Es braucht solche Plattformen für Entdeckungen. Dort gibt es geballt viel zu sehen und man kommt direkt ins Gespräch“, sagt der Kunsthistoriker. Veranstaltungen, bei denen der Nachwuchs in das Licht einer breiten Öffentlichkeit treten kann, sind hierzulande spärlich gesät. Die Phase zwischen dem Diplom und dem Fußfassen im Kunstbetrieb stellt eine zähe Etappe dar. Erfahrungsgemäß verfolgt nur ein kleiner Teil der Absolvent_innen die eigene Produktion mit der nötigen Konsequenz weiter und davon schafft es wiederum nur ein Anteil im Promillebereich, von der eigenen Kunst leben zu können.

Oberhollenzer weiß nur zu gut, wie holprig der Start einer künstlerischen Laufbahn meist verläuft. „In der Ausbildung wird immer noch zu wenig Augenmerk auf praktisches Know-how gelegt. Das reicht vom Erstellen einer Werkliste bis hin zur Preisgestaltung.“ Freilich soll die Entwicklung einer individuellen künstlerischen Sprache im Zentrum des Studiums stehen. Aber für das Weiterkommen braucht es auch ein Grundwissen über die Anforderungen des Ausstellungswesens und des Kunstmarkts. Zum Glück federt hierzulande ein breites Förderungsangebot, etwa Stipendien für Ateliers und Residencies im Ausland, die Härten der ersten Jahre ab. „Wer sich einigermaßen geschickt anstellt, kann bis zum Alter von 35 Jahren zahlreiche Förderungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen. Dann wird es allerdings kritisch.“

Derzeit beteiligt sich Oberhollenzer an einem Mentoring-Programm der Wiener Akademie der bildenden Künste. In dessen Rahmen vermittelt er seinem Mentee, der Künstlerin Xenia Lesniewski, die eigene Perspektive als Kurator. „Sichtbarkeit ist für Künstler_innen zentral, im analogen ebenso wie im digitalen Raum. Dafür braucht es viel Eigeninitiative“, streicht er hervor. Die Hoffnung, allein aufgrund von Qualität aus dem Elfenbeinturm geholt zu werden, erweist sich angesichts der Konkurrenz als illusionär. Aber auch der direkten Selbstpromotion sind Grenzen gesetzt. Zum Beispiel gilt es in Galerien als verpönt, dass Künstler_innen persönlich mit einer Werkmappe vorstellig werden. Galerist_innen betonen gerne, dass sie spannende Positionen am liebsten selbst aufspüren.

Instagram als Präsentationsplattform

Unter den sozialen Medien hat sich Instagram als wichtigste Plattform für jüngere Künstler_innen etabliert. Die Millennials bespielen „Insta“ höchst unterschiedlich. Während die einen neue Arbeiten präsentieren, posten andere wenig bis gar keine Kunst und kreieren stattdessen ihr Image. Anstelle von Werkabbildungen veröffentlichen sie Schnappschüsse, Selfies oder Bilder von Freunden und geben Einblick in ihren Lebensstil. Es gibt heute eine stattliche Anzahl an Künstler_innen, die über ihren Onlineauftritt einen direkten Vertriebsweg etablieren konnten. Seine Werke zu verkaufen und sich in der Kunstszene zu etablieren, bedeutet jedoch zweierlei. Die Bezeichnung „Insta-Kunst“ hat heute eine negative Bedeutung, meint sie doch einen catchy, kalkulierten Aufguss, der die Oberflächlichkeit des Mediums bedient.

„Wer sich einigermaßen geschickt anstellt, kann bis zum Alter von 35 Jahren zahlreiche Förderungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen.“

Günther Oberhollenzer

Ästhetisch ein Hingucker, aber dennoch gesellschaftskritisch: Diesen Spagat schafft die Künstlerin Jakob Lena Knebl, die seit diesem Herbst Professorin für Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien ist. Gemeinsam mit Ashley Hans Scheirl vertritt die queer-feministische Künstlerin Österreich 2022 auf der Biennale von Venedig. „Das Wichtigste im zeitgenössischen Kunstbetrieb ist die Vernetzung. Die Vorstellung, ‚entdeckt‘ zu werden, ist nichts weiter als ein bürgerliches Märchen“, weiß die 1971 geborene Künstlerin, die erst nach Berufsjahren als Altenpflegerin ihre Kunst- und Modestudien begonnen hat. Man müsse schon eine Begeisterung für dieses System mitbringen, betont Knebl. Schüchterne Persönlichkeiten hätten da eher schlechte Karten.

Um sich als Künstlerin durchzusetzen, gilt es auch viel Nicht-Kreatives zu beherrschen, zum Beispiel Budgetieren, Anträgeverfassen und PR-Arbeit. „Im Grunde sind Künstler_innen Ein-Personen-Unternehmen“, stellt die frisch berufene Professorin fest. In ihrer eigenen Laufbahn hat sie mit öffentlichen Ausschreibungen von Museen und Kunstvereinen gute Erfahrungen gemacht. Selbst wenn man als Bewerberin oder Bewerber leer ausgeht, hätte doch eine qualifizierte Jury die Arbeiten kennengelernt. Nach Knebls Meinung sollte es noch viel mehr dieser Bewerbungsmöglichkeiten für Ausstellungen oder Präsentationen geben. Von den dabei oft vorhandenen Altersbeschränkungen hält die Künstlerin nichts.

Artist-run-spaces

Während ihrer eigenen Studienzeit hat Knebl gemeinsam mit Freunden einen Raum gemietet und Ausstellungen organisiert. Dabei sammelte sie praktische Erfahrungen und konnte experimentieren. Wien hat in der letzten Dekade eine veritable Gründerzeit von Artist-run-spaces erlebt. Zeitweise existierten über hundert solcher temporärer Non-Profit-Galerien. Mithilfe öffentlicher Förderungen siedelten sich Künstlerclubs und Projekträume in verlassenen Geschäftslokalen an. 2020 hat die Stadt Wien erstmals fünf Offspaces mit je 4.000 Euro für ihre Leistungen prämiert. Frühere Generationen definierten sich eher als Boheme oder Subkultur und blieben unter sich. Im Unterschied dazu treten die neuen Offspaces mittels Website, Aussendungen und Social-Media-Präsenz nach außen und viele setzen auf Internationalität.

Severin Dünser, Kurator am Belvedere 21, hat gemeinsam mit seiner Kollegin Luisa Ziaja die hiesigen Newcomer-Szenen durchforstet. Als Ergebnis entstand 2019 die gelungene Gruppenschau „Über das Neue“. Deren Konzept überzeugte vor allem durch die Einbindung von einem Dutzend lokaler Offspaces. In vier speziellen Bereichen konnten diese wechselnde „Ausstellungen in der Ausstellung“ gestalten. Die Vernissagen, zu denen im Verlauf von drei Monaten regelmäßig geladen wurde, fanden nicht nur bei der eigenen Crowd viel Anklang.

„Das Wichtigste im zeitgenössischen Kunstbetrieb ist die Vernetzung. Die Vorstellung, ‚entdeckt‘ zu werden, ist nichts weiter als ein bürgerliches Märchen.“

Jakob Lena Knebl

Magneten statt No-Names

In der Regel tun sich Museen mit „emerging artists“ nicht leicht. Wenngleich öffentlich subventioniert, müssen Kunstinstitutionen heute den Großteil ihres Budgets selbst erwirtschaften. Notgedrungen setzen sie daher stärker auf Publikumsmagneten als auf No-Names. „Die Chancen für die junge Generation sind heute dennoch viel besser als früher. Die sozialen Medien haben die Möglichkeiten der Kommunikation demokratisiert. Außerdem ist das Interesse an junger Kunst stark gestiegen“, beobachtet Belvedere-Kurator Dünser. Die gesteigerte Gier des Marktes nach Frischblut hätte natürlich auch ökonomische Gründe. Die Margen der Wertsteigerung können deutlich höher ausfallen, wenn man als Sammler_in in Positionen investiert, deren Arbeiten noch günstig zu haben sind.

Kein Wunder also, dass der Andrang auf der Parallel Vienna auch in Pandemiezeiten groß war. Mit baldigen Preisexplosionen der dort vertretenen Newcomer ist zwar kaum zu rechnen. Aber auch ohne das Schielen auf den Profit: Durch den Kauf einer leistbaren Fotografie oder Skulptur eine_ n junge_ n Kreative_n unterstützen und ein Stück künstlerischer Zeitgenossenschaft erwerben kann echte Freude bringen.

Nicole Scheyerer ist Kunstkritikerin für die Wochenzeitung „Falter“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und ORF.at.


GÜNTHER OBERHOLLENZER
Mag. Günther Oberhollenzer M.A. ist Kurator der Landesgalerie Niederösterreich. Davor war er Kurator am Essl-Museum. Oberhollenzer ist Mitglied des Südtiroler Kulturbeirats und Lehrbeauftragter an zwei Universitäten. Er studierte Geschichte und Kunstgeschichte in Wien und Venedig.

JAKOB LENA KNEBL
Jakob Lena Knebl ist queer-feministische Künstlerin und Professorin für Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Knebl vertritt 2022 Österreich auf der Biennale von Venedig. Sie studierte Modedesign an der Wiener Angewandten.

SEVERIN DÜNSER
Severin Dünser ist Kurator in der Sammlung für zeitgenössische Kunst im Belvedere 21 in Wien. Er leitet darüber hinaus den von ihm gegründeten Kunstverein Coco. Dünser lebt und arbeitet in Berlin und Wien.

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