Wer steuern will, muss zunächst wissen, welche Faktoren ein System beeinflussen. Nicht nur Bäume, auch Märkte müssen mit dem arbeiten, was verfügbar ist. Ökonom Matthias Raddant analysiert am Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement wichtige Zusammenhänge im Netzwerk von Phosphor-Stoffkreisläufen und -Märkten.
Von Astrid Kuffner
Was ein Baum zum Leben braucht, holt er sich von der Sonne, aus der Luft und aus dem Boden. Die vorhandenen Ressourcen bestimmen, wie gut ihm das gelingt. Phosphor braucht er für das Wurzelwachstum, aber gedüngt wird er nie. Vielleicht sollte Matthias Raddant also auch mit den Bäumen an seinen Arbeitsstätten Krems und Wien ins Gespräch kommen, wie sie auf Mangel reagieren, was sie einsetzen müssen, um an Nährstoffe zu kommen und im Gleichgewicht zu bleiben. Der deutsche Ökonom forscht seit Oktober 2021 am Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Universität für Weiterbildung Krems und am Complexity Science Hub Wien.
Raddant ist Teil des Sustainable Mineral Resources Lab, wo er seine Expertise in Computational Economics auf Phosphor-Stoffkreisläufe im Zusammenspiel mit dem Weltmarkt für den wichtigen Düngerbestandteil anwendet: „Wir sind ein transdisziplinärer Data und Knowledge-Hub, der das wissenschaftliche Fundament für den globalen Phosphor-Markt stärken will. Die ökonomische Expertise für diesen Hauptbestandteil von Dünger steckt im Vergleich zu Themen wie Finanzmärkte oder Aktien noch in den Kinderschuhen.“ Auch für ihn sind Stoffkreisläufe ein neues Feld, in das er sein Wissen über volkswirtschaftliche Zusammenhänge und die Funktion von Märkten einbringen will.
Die Realität besser modellieren
Mit Netzwerkanalysen als Instrument zur Modellierung ökonomischer Zusammenhänge beschäftigte er sich erstmals im Doktorat an der Universität Kiel. Die Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 rief Ökonom_innen weltweit auf den Plan. Prognosen taten Not. Wird diese Schieflage eine Wirtschaftskrise auslösen? Und wenn ja, wie kann steuernd eingegriffen werden? Um ein vernetztes System zu steuern, muss es zunächst einmal verstanden werden. Das machte ihn neugierig: „Der ökonomische Werkzeugkasten mit klassischen Modellen zu Angebot und Nachfrage oder repräsentativen Agenten hatte da wenig zu bieten. Aber die Physik kennt Modelle zur Beschreibung von Kaskadeneffekten und die haben wir für unsere Zwecke auf Interbankenmärkte angewendet.“ Netzwerkanalysen sind für ihn sinnvoll, „wenn sich etliche Variablen und Effekte in einem Umfeld bewegen, wo es noch mehr Einflüsse gibt, die wir nicht kennen“. Das Ergebnis sind keine eindeutigen Prognosen, sondern Erkenntnisse über Wirkungszusammenhänge.
Ein Netzwerk aus Expertise
Ein Netzwerkmodell für Lieferketten zu bauen, das die zentralen Einflussfaktoren und Feedbacks erkennbar macht, plausibel ist und die Realität weltweit gut abbildet, braucht rundum vertiefte Expertise.
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„Die ökonomische Expertise für Phosphor, Hauptbestandteil von Dünger, steckt im Vergleich zu Finanzmärkten in den Kinderschuhen. Wir wollen das wissenschaftliche Fundament für den globalen Phosphor-Markt stärken.“
Matthias Raddant
Wie viel Phosphor kann gefördert werden? Wie viel kann eingespart oder wiederverwendet werden? Wie kommen die Phosphate als Dünger in die Länder, wo sie proportional zur Nahrungsmittelproduktion genutzt werden? Welche Düngemittelprodukte gibt es und wie viel ist da drin? Was passiert, wenn die vier großen Förderländer China, USA, Marokko und Russland mehr Eigenbedarf haben? Fragen an andere Fachexpert_innen zu stellen, ist ein Teil seiner Arbeit. Der andere ist das Vernetzen und Umrechnen von vorhandenen, jedoch nicht passgenauen, aggregierten Datensätzen. „Wir wissen, wo es herkommt und wo es hingeht, und wir wollen das Netzwerk dahinter verstehen. Letztlich ist es wie ein Mobile: wenn an der einen Stelle ausgelenkt wird, passiert an vielen Stellen etwas“, so der Volkswirt. Ausgehend von dem ökonomischen Modell zur Situation jetzt, sollen dann Module entwickelt werden, die Steuergrößen wie Effizienzgewinne, Reserven und Fördermengen abbilden.
Den Wald vor lauter Bäumen
Sich selbst verortet Matthias Raddant bei der Komplexität der Datensätze dennoch in der Mitte. Er beschäftigte sich in Finanzmarktanalysen mit ein paar tausend Firmen oder Aktienkursen oder ein paar hundert Banken. Am Complexity Science Hub wird oft mit Abermillionen konkreter Datensätze gerechnet. Wer die Realität simulieren will, kennt entweder alle Daten, oder die richtigen Variablen zum Einsetzen in ein Modell. Der Ökonom macht den Schritt dazwischen: „Ich betreibe dimensionale Reduktion und versuche die Datensätze auf eine Hand voll Variablen zu begrenzen und eine hierarchische Struktur vorzulegen, wie sie zusammenhängen.“ Damit der Wald vor lauter Bäumen sichtbar wird.
Auch die (inter)disziplinäre Arbeit befördert ihn dazwischen: „Das ist ein gewisses Risiko, weil es passieren kann, dass einen keine Disziplin zu den ihren zählt.“ Also bezeichnet er sich eindeutig als Makroökonom und Finanzmarktexperte, der Netzwerkanalyse als Methode anwendet. Da er an zwei Institutionen forscht, vernetzt er natürlich auch deren Expertisen miteinander. Nach Wien kam Matthias Raddant, der zuletzt am Department of Economics der Universität Kiel geforscht und gelehrt hat, im Oktober 2021. Seine Frau leitet eine Gruppe am CSH. Er kam ins Gespräch mit Univ.-Prof. Gerald Steiner von der Kremser Universität, der jemanden mit seiner Expertise dringend suchte. So einfach können Netzwerke sich bilden.
Dr. Matthias Raddant ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Universität für Weiterbildung Krems. Dort bringt der Makroökonom seine Expertise in Computational Economics ins Sustainable Mineral Resources Lab ein. Ebenfalls tätig ist Raddant für den Complexity Science Hub in Wien. Der gebürtige Deutsche studierte Ökonomie an der Universität Kiel, wo er promovierte und danach auch lehrte, zuletzt als Assistant Professor.
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