Vor 300 Jahren wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft formuliert, heute ist der Begriff allgegenwärtig, oft inhaltsleer und stößt an seine Grenzen. Die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen ist aber aktueller denn je.

Von David Rennert

Vor 50 Jahren mischte ein wissenschaftlicher Bericht die gesellschaftliche Debatte über Umweltschutz, die Endlichkeit von Ressourcen und die Zukunft der Weltwirtschaft gehörig auf. „Die Grenzen des Wachstums“, wie die im Auftrag der Organisation Club of Rome erstellte Studie hieß, warnte auf Basis computergestützter Systemanalysen vor dramatischen globalen Folgen eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht“, hieß es darin.

Der zugespitzte Bericht löste heftige Kontroversen aus und trug maßgeblich zu einem wachsenden Umweltbewusstsein bei. Auch wenn sich nicht alle düsteren Prognosen im Detail als zutreffend herausstellen sollten, beinhalteten sie zentrale Grundgedanken, die angesichts der heutigen Weltlage und des vom Menschen verursachten Klimawandels nichts an Aktualität eingebüßt haben: Eine rücksichtslos auf Wachstum ausgelegte Lebensweise geht sich auf Dauer für die Menschheit nicht aus – und technischer Fortschritt kann die katastrophalen Langzeitfolgen unserer Wirtschaftsweise zwar verzögern, aber nicht aufhalten.

Einflussreiche Debatte

„Der große Wert dieses Berichts ist der Beitrag, den er zur Diskussion des Umweltthemas geleistet hat“, sagt Michael Obersteiner vom Environmental Change Institute der University of Oxford, zuletzt auch Gastprofessor an der Universität für Weiterbildung Krems. „Auch aus wissenschaftlicher Sicht war er wichtig: Zum ersten Mal wurde das Thema mit umfangreichen numerischen Voraussagen untersucht und damit auf eine neue Evidenzbasis gestellt.“

Michael Obersteiner

„Nachhaltigkeit ist eher ein statisches, konservatives Konzept. Es werden sich andere Konzepte und Begriffe herauskristallisieren: Thrivability zum Beispiel.“

Michael Obersteiner

In der vom Club of Rome losgetretenen Debatte geriet ein Konzept in den Fokus, das ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt und schon Anfang des 18. Jahrhunderts formuliert wurde: Nachhaltigkeit. Das Prinzip, dass nicht mehr Holz gefällt werden darf, als nachwachsen kann, wenn man nicht über kurz oder lang ohne Wald dastehen will, wurde auch auf den Umgang mit anderen Ressourcen und die menschliche Lebensweise übertragen. Nachhaltigkeit wurde zur Forderung an eine verantwortungsvollere Politik  – und auch zu einem Marketingwort: „Nachhaltigkeit“ begegnet uns heute praktisch überall, ob man ein neues Bankkonto eröffnen oder eine Zahnpasta kaufen will.

Was damit konkret gemeint sein soll, ist oft nicht klar – der Begriff soll vielmehr ein Image von ökologischer Verantwortung erzeugen. „In vielen Fällen wird Nachhaltigkeit als Propagandabegriff genutzt und bleibt eigentlich inhaltsleer“, sagt Marina Fischer-Kowalski. „Solange das nicht mit einer ernsthaften Analyse verbunden wird, was ökologisch verträglich ist und wo die Grenzen liegen, ist das ziemlich nichtssagend.“ Für die Soziologin, Gründerin und langjährige Leiterin des Instituts für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur Wien fehlt dem Begriff eine wissenschaftliche Trennschärfe, und schon das Erbe der Nachhaltigkeitsidee sei problematisch: „Es ging dabei nicht um die Umwelt, sondern rein um die wirtschaftliche Überlegung, wie man die Nachfrage nach Holz am besten befriedigt.“

Neue Dynamik

Auch Obersteiner sieht viel „Greenwashing“, das unter dem Schlagwort der Nachhaltigkeit betrieben wird, wertet es aber dennoch als positiv, dass allerorts darüber gesprochen wird. Das könnte das Bewusstsein über unseren Umgang mit der Erde ein wenig schärfen. Aus wissenschaftlicher Sicht beurteilt er den schwammigen Nachhaltigkeitsbegriff ebenfalls kritisch, gerade wenn man die großen ökologischen Herausforderungen unserer Zeit in den Blick nehmen will.

„Nachhaltigkeit ist eher ein statisches, konservatives Konzept: Man will etwas erhalten. Vor einigen Jahrzehnten dachte man im Umweltschutz noch, man kann die Natur als solche einfach konservieren.“ Aber durch den Klimawandel und das rasche Bevölkerungswachstum würde die Menschheit längst global so massiv in die Umwelt eingreifen, dass die Lage viel dynamischer geworden sei und mehr Flexibilität verlange. „Man kann nicht die ganze Welt zurückbauen. Wir sind jetzt viel zu schnell acht Milliarden Menschen geworden und werden einen riesigen Teil der Erdoberfläche für uns nutzen und dementsprechend die Ökosysteme umbauen, direkt und indirekt.“

Obersteiner glaubt nicht, dass in hundert Jahren noch viel über Nachhaltigkeit gesprochen werde, sondern dass sich andere Konzepte und Begriffe herauskristallisieren werden. Ideen gibt es schon: Thrivability zum Beispiel, was sich etwa mit Gedeihlichkeit übersetzen ließe und weniger auf die reine Erhaltung von Ökosystemen als auf deren Weiterentwicklung abzielt. „Was ist überhaupt ein natürliches Ökosystem? Diese Frage ist schon heute eine große Herausforderung“, sagt Obersteiner. Durch den Klimawandel kämen immer schnellere Veränderungen und viele neue Risiken auf uns zu.

Spiel auf Zeit

Für den Wissenschafter steht deshalb fest, dass sich die Nachhaltigkeitsforschung auch mit dystopischen Zukunftsszenarien und Anpassungsstrategien befassen muss. „Wenn wir das mit der Regulierung der Treibhausgasemission nicht schaffen, müssen wir auch über radikale Technologien nachdenken.“ Ideen für sogenanntes Geoengineering gibt es schon lange, etwa das Ausbringen von Schwefeldioxid in der Stratosphäre, um Sonnenstrahlen zurück ins All zu reflektieren und einen Kühlungseffekt für die Erde zu erzielen. Aber sind solche Techniken wirklich ein Ausweg aus der Klimakatastrophe? Nein, man würde damit lediglich auf Zeit spielen, sagt Obersteiner. „Noch ist das ein Tabuthema, aber für mich ist es keine Frage, dass diese irgendwann kommen werden.“

Nicht alle Weltregionen werden von Klimawandelfolgen im selben Ausmaß betroffen sein – so wie auch die Emissionen der Treibhausgase extrem ungleich verteilt sind. In dieser Ungleichheit sieht Marina Fischer-Kowalski einen wachsenden Konflikt „zwischen denen, die sehr zu Schaden kommen und große Dürren und Ernteausfälle erleben und jenen, die relativ ungeschoren davonkommen. Ich glaube, so muss man den Prozess analysieren, welche neuen Kräfte entstehen, durch welche Aushandlungsprozesse von Konflikten wir vielleicht einen Schritt näher zu einem Ziel zu kommen.“

Zu einem nachhaltigen Recht

Gerade der Klimawandel zeige, wie eng ökologische, soziale und ökonomische Faktoren miteinander verzahnt sind, sagt Malte Kramme, Euregio-Stiftungsprofessor für Technik-, Mobilitäts-, und Nachhaltigkeitsrecht an der Uni Innsbruck. „Das zentrale Werkzeug der Politik ist das Recht und klar ist, dass eine nachhaltige Politik mehr Gesetzgebung braucht, die gegen den Klimawandel und die Zerstörung der Lebensgrundlagen vorgeht.“ Dabei gehe es einerseits um konkrete Klima- und Umweltschutzgesetze, aber vielfach auch um Gesetze, die auf den ersten Blick gar nichts mit dem Thema zu tun haben. „Jede Norm steuert menschliches Verhalten, und unser Verhalten wirkt sich auf Nachhaltigkeitsthemen immer irgendwie aus“, sagt Kramme.

Ein Beispiel: Das Recht zur kostenfreien Rücksendung von Onlinekäufen führe dazu, dass viele Menschen Kleidung in mehreren Größen und schon in der Absicht bestellen, einen Teil wieder zurückzuschicken. „Die CO2-Äquivalente, die durch Retouren entstehen, sind atemberaubend“, sagt Kramme. Der Jurist plädiert dafür, Gesetzgebung immer auch auf schädliche Fehlanreize abzuklopfen und mehr Sensibilität in der Rechtswissenschaft für Nachhaltigkeit zu schaffen. Letztlich könnte das Problem nur global gelöst werden, sagt Kramme. „Umso wichtiger wäre es, dass gerade die wohlhabenden Länder eine stärkere Vorbildfunktion einnehmen.“


MICHAEL OBERSTEINER
Prof. Dr. Michael Obersteiner ist Direktor des Environmental Change Institute der University of Oxford. Davor leitete er am IIASA in Laxenburg das Ecosystems Services and Management-Program. Obersteiner ist seit 2018 Gastprofessor an der Universität für Weiterbildung Krems und forscht dort am Biodiversity-Hub sowie im Td-Lab Sustainable Mineral Resources.

MARINA FISCHER-KOWALSKI
Em.Univ.-Prof.in Dr.in Marina Fischer-Kowalski gründete das Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur Wien, dessen langjährige Leiterin sie war. Sie forscht u. a. zu Stoffwechsel und Ressourcennutzung der Gesellschaft, sozialökologischen Transitionen, Theorien sozialen Wandels und sozialer Ökologie.

MALTE KRAMME
Univ.-Prof. Dr. Malte Kramme ist Euregio-Stiftungsprofessor für Technik-, Mobilitäts-, und Nachhaltigkeitsrecht am Institut für Theorie und Zukunft des Rechts der Universität Innsbruck. Davor forschte und lehrte der Rechtswissenschaftler an der Universität Bayreuth, wo er sich habilitierte.


WISSENSWERTES

Nachhaltigkeit hat als Dachbegriff auch Einzug in die Rechtswissenschaften gefunden. Erste österreichische Fachzeitschrift dazu ist die Zeitschrift für das Recht der nachhaltigen Entwicklung (Verlag Österreich), die sich mit Nachhaltigkeitsaspekten in sämtlichen Rechtsgebieten befasst wie insbesondere Umwelt-, Energie-, Vergabe- oder Wirtschaftsrecht.

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