Ein Kommentar von Almuth Spiegler

Soll man verzweifeln? Wenn der Blick der Journalistin auf ihr täglich Brot, das „Dashboard“ fällt. Hier werden in Echtzeit die Online-Zugriffe auf die Geschichten angezeigt, steigen und fallen die Erregungskurven des Interesses, getriggert durch die berühmten „Klick-Zahlen“. Ausstellungen? Interessieren dann, wenn Klima-Aktivisten sie stürmen. Galerien? Wenn sie teure Kunst verkaufen. Künstler_innen? Wenn sie gefälscht wurden. Oder Leonardo da Vinci heißen.

Ja, man kann schon ein wenig melancholisch werden als Kunstkritikerin in Zeiten des prompten Feedbacks. Was aber ist die Schlussfolgerung daraus? Hat die Kunst an Bedeutung verloren? Die stetig steigenden Besucherzahlen in den Museen versichern einem doch anderes! Die Biennale Venedig – fährt sie nicht jedes Mal neue Rekorde ein? Und die einzig messbare Achtung, die Verkaufspreise, sind doch längst schon ins Imaginäre gewandert.

Woran liegt also dieses messbare Desinteresse, über das auch zu lesen, sich zu informieren, wozu es einen doch ebenso messbar zieht? Schreiben wir tatsächlich so langweilig über Kunst?

Ja. Zum Teil. Aber das ist eine Herausforderung, die man schlicht und einfach annehmen muss.

Nein. Nicht immer. Manchmal ist die Kunst selbst langweiliger als das, was über sie geschrieben wird.

Es ist also eine dreifache Krise. Eine Krise des Schreibens über Kunst. Eine Krise der (zeitgenössischen) Kunst selbst. Und eine Krise des Betrachters. Denn dieser wird schulbedingt immer ungebildeter und dadurch ungeduldiger, orientiert sich in seinem Kunstkonsum vor allem an einem: dem Event. Wie es eben eine Biennale bedeutet. Oder eine „Millennium“-Ausstellungen wie über Vermeer, Bruegel oder Bosch.

Geht das Abendland also unter? Mitnichten. Es gibt sogar Hoffnung und diese ist durchaus auch eine digitale. Haben die Museen seit der Pandemie ihre Online-Angebote doch stark ausgebaut. Die Kunst ist zugänglicher geworden denn je. Man muss nicht mehr wie einst über sie lesen, man kann sie gleich sehen. Ob physisch das Original oder das digitale Abbild ist dabei egal, wie eine Forschungsgruppe der Universität Wien unlängst sogar feststellen konnte: Wenn Menschen sich mit Kunst beschäftigen, verringern sich Gefühle von Angst und Einsamkeit. Wohlbefinden stellt sich ein. Genau wie die Gewissheit: In der Not ist die Bedeutung der Kunst unangefochten. Warum? Vielleicht beruhigt uns die Gewissheit des Überdauerns unserer Spezies, symbolisiert durch die Museen dieser Welt. Wenn es allein das ist – fair enough.

Allein, um dieses Wissen zu bewahren, diesen Weg einer möglichen Selbstversicherung gangbar zu halten, dafür lohnt es sich über Kunst zu schreiben. Auch in den besseren Zeiten. Auch wenn die Kunst auf den redaktionellen „Dashboards“ fast verschwunden scheint.


ALMUTH SPIEGLER

Almuth Spiegler ist seit 2000 bei der Zeitung „Die Presse“ als Kunstkritikerin beschäftigt. Seit 2023 Ressortleitung des Feuilletons, gemeinsam mit Karl Gaulhofer. Spiegler studierte Kunstgeschichte.

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