Die Musikbranche ist unter Druck – das spüren besonders junge Talente, die einer Zukunft unter prekären Arbeitsbedingungen entgegensehen. Beim European Union Youth Orchestra werden sie auch darauf vorbereitet. Was brauchen junge Musiker_innen? Und welche Verantwortung liegt beim Management?

Von Katrin Nussmayr

Wenn Geld dein Ziel ist, dann geh nicht in die Musik“, sagt Marshall Marcus. „Keiner von uns ist wegen des Geldes hier. Wir spielen, weil wir es lieben.“ Musik als Beruf und Berufung: Das trifft auch auf den britischen Orchestermanager zu. Marcus war über 25 Jahre lang als Geiger tätig, heute leitet er das European Union Youth Orchestra (EUYO), das Jugendorchester der EU, in dem Musiktalente zwischen 16 und 26 Jahren aus allen Mitgliedsstaaten unter renommierten Dirigenten Erfahrung sammeln. Die Zukunft der europäischen Klassikszene sitzt, wenn man so will, zum Teil in den Reihen dieses Orchesters, das jedes Jahr für drei Wochen im niederösterreichischen Grafenegg probt, bevor es weltweit auf Tournee geht. Die Zukunft dieser jungen Menschen aber ist ungewiss – viel ungewisser jedenfalls, als sie für Marshall Marcus einst war. Und so beschäftigt ihn neben allerlei anderen Herausforderungen des Orchestermanagements – von Finanzierungsschwierigkeiten bis zur Frage, wie eine durch die Welt tourende Organisation klimafreundlich arbeiten kann – vor allem ein Thema: die Bedingungen, unter denen seine Schützlinge Karriere machen werden.

Dass Musiker_innen unter mitunter prekären Bedingungen arbeiten, ist evident: Unsichere Beschäftigungsverhältnisse und niedrige Gagen sind Realität. Tatsächlich können in Österreich die meisten nicht von ihrer musikalischen Tätigkeit leben: 73 Prozent verdienten 2018 weniger als 10.000 Euro pro Jahr damit, nur 6 Prozent kamen über 30.000 Euro, wie eine Studie im Auftrag des Bundeskanzleramts ergab („Soziale Lage der Kunstschaffenden und Kunst- und Kulturvermittler/innen in Österreich“). Zuletzt deckte die Wochenzeitung „Falter“ auf, wie niedrig die Gagen für Profimusiker_innen bei Wiens Touristenorchestern sind – und auch jene für Substitute in Wiens Opernhäusern: Da wird nur rund 100 Euro für einen Abend bezahlt, oft noch weniger.

Verhältnisse unbekannt

Wissen junge Musiker_innen, worauf sie sich da einlassen? „Manche wissen es, viele nicht. Es ist auch unsere Aufgabe, sie da hineinzubegleiten“, sagt Marshall Marcus, der sich in der Verantwortung sieht, seine jungen Talente auf das Berufsleben vorzubereiten. „Man muss lernen, nicht ausgebeutet zu werden.“

Marshall Marcus

„Keiner von uns ist wegen des Geldes hier. Wir spielen, weil wir es lieben“

Marshall Marcus

Zur Karriereentwicklung gehört demnach mehr, als an der Geige oder Harfe nach Exzellenz zu streben. 3500 Menschen haben sich beim letzten Probespiel für das EUYO beworben, rund 120 wurden aufgenommen. „Diese jungen Leute kommen mit dem Gedanken, dass sie hier mit fantastischen Dirigenten arbeiten können, dass sie hier ein Ticket bekommen, um später in den besten Orchestern der Welt zu spielen“, so Marcus. „Wir helfen ihnen, ein bisschen genauer in die Zukunft zu blicken. Sie werden vielleicht nicht nur einen, sondern mehrere Jobs haben.“

Als Beispiel nennt er eine EUYO-Absolventin aus Polen, die immer noch spielt, die auch eigene Ensembles gegründet hat, die aber etwa auch ein Buch über das Orchesterleben geschrieben habe und damit auf Lesetour gegangen sei. „Über 90 Prozent unserer Alumni sind praktizierende Musiker. So wird es wohl auch weiter sein – aber die Jobs werden umfassender sein. Manche werden Lehrer oder Komponistinnen sein, manche im sozialen Bereich arbeiten oder ein Orchester managen.“

Zusätzliche Skills vermitteln

Also will Marcus ihnen jene Skills vermitteln, die sie für eine Musikkarriere im 21. Jahrhundert brauchen werden. Dazu gehören unternehmerische Fähigkeiten: Im Rahmen des „Café Bauhaus“-Wettbewerbs werden etwa EUYO-Mitglieder, die eigene musikalische Projekte initiieren, mit Startkapital unterstützt. Außerdem setzt Marcus auf Kommunikationsfähigkeiten: „Wir wissen nicht, wie groß das traditionelle Klassik-Publikum in ein paar Jahren noch sein wird. Umso wichtiger ist es zu lernen, wie man ein breiteres Publikum erreicht. Diesen Sommer spielen wir zum Beispiel Schönberg an unterschiedlichen Orten in Wien, vor Menschen, die nicht an klassische Musik gewöhnt sind. Denen muss man Schönberg erst verkaufen! Wir trainieren unsere Musiker, wie man zum Publikum spricht, wie man es aktiviert.“

Dass Musiker_innen heute mehr brauchen als künstlerisches Geschick, bestätigt Olga Kolokytha, die das berufsbegleitende Masterstudium „Music Business and Culture“ an der Universität für Weiterbildung Krems leitet. „Die Situation ist in Österreich viel besser als anderswo in Europa“, schickt sie voraus, was auch an einer etablierten Kulturförderstruktur liege und an Organisationen wie „mica“ (music austria), die Lobbyarbeit für die österreichische Musikszene betreibt. Dennoch: „Dass die Arbeitsbedingungen im Kultursektor prekär sind, ist ein Fakt.“ Welche Skills es in diesem schwierigen Umfeld braucht? Kompetenzen in Präsentation, Marketing, Finanzierung. Zwar gebe es Agenturen, die das übernehmen und „an die richtigen Türen klopfen“ können. Doch: „Die Agenturen können nicht alle nehmen.“

Tatsächlich ist es so, dass freischaffende Musiker_innen typische Management-Aufgaben wie Booking, Marketing, Buchhaltung und Administration in der Regel selbst übernehmen: Das zeigt eine Studie, die Eva-Maria Bauer und Ulrike Kastler 2023 an der Universität Krems durchgeführt haben („Music Career Check – Berufsbilder und Kompetenzen“). Ein Viertel der Befragten hat angegeben, Veranstaltungen selbst zu organisieren; jeder Zweite produziert selbst Musik oder Musikvideos. Dass nur wenige derlei Aufgaben an Manager_innen, Agenturen oder Labels delegieren, dürfte auch am niedrigen Einkommensniveau von Musiker_innen liegen, meinen die Studienautorinnen.

Olga Kolokytha

„Die Situation ist in Österreich viel besser als anderswo in Europa.“

Olga Kolokytha

Bremsklotz Geld

Nadja Kayali kennt die Branche von unterschiedlichen Seiten: Als Regisseurin und Autorin ist sie selbst künstlerisch tätig, als Moderatorin und Radiomacherin bei Ö1 vermittelt sie Kultur, als Intendantin kennt sie die Managementseite. Dieses Jahr leitet sie erstmals das Musikfestival Carinthischer Sommer. Die prekären Arbeitsbedingungen beschäftigen auch sie, sagt sie: „Ich habe meine Angestellten auf Fair Pay umgestellt und bemühe mich, auch die Künstlerinnen und Künstler nach Fair-Pay-Richtlinien zu bezahlen. Das ist aber echt eine Herausforderung. Die Subventionen werden nicht valorisiert, gleichzeitig steigen die Gehälter.“ Zudem würden Kunst und Kultur zunehmend „kapitalistischen Strukturen untergeordnet“: „Das ist der größte Bremsklotz meiner Arbeit als Kulturmanagerin. Wir haben Ressourcen, können sie aber zum Teil nicht verwenden, weil wir in Kostenstellen denken müssen.“

Dennoch sieht sie Intendant_innen wie sich in einer Verantwortung, was die Arbeitsbedingungen angeht: „Wir könnten bessere Verhältnisse schaffen, aber das ist nicht so einfach, weil man in einem großen Zusammenhang steckt. Es braucht Mut.“ Und den Willen, Prioritäten zu schaffen: „Ich könnte mir, würde ich nicht Fair-Pay-gemäß zahlen, noch ein super Orchesterprojekt leisten. Manche könnten sich Fair Pay gar nicht leisten – die müssten zusperren.“

Faktor Leidenschaft

Ist die heimische Musikbranche nur deshalb so lebendig, weil es genug junge Menschen gibt, deren Leidenschaft so groß ist, dass sie sich trotz allem in dieses Leben stürzen? EUYO-Leiter Marshall Marcus will da gar nicht widersprechen. Er bringt auch die mentale Gesundheit ins Spiel. „Der Druck, der auf den jungen Menschen lastet, ist gewaltig. Wir haben deshalb ein Wellbeing-Programm gestartet.“ Eine Mentaltrainerin hilft bei Lampenfieber und zeigt, wie man auf Tourneen seine Energie bewahrt. „Was können wir aktiv tun? Schlaf, Ernährung, Bewegung, Beziehungen. Wir haben vielleicht keine Kontrolle darüber, wie hoch die Gagen am Musikmarkt für einen Orchestermusiker sind. Aber wir können unser Wohlbefinden stärken.“

Zuletzt will er als Orchestermanager seinen Schützlingen helfen, sich ihre Leidenschaft zu bewahren. „Wir wollen sie anregen, darüber nachzudenken, was sie wirklich zufrieden macht: Welchen Teil deines Potenzials kannst du nutzen, um eine Karriere zu machen, die du auch mehrere Jahrzehnte lang aufrechterhalten kannst, ohne schon in deinen 30ern auszubrennen?“

Katrin Nussmayr ist Kulturedakteurin der Tageszeitung Die Presse


MARSHALL MARCUS
Der ausgebildete Violinist Marshall Marcus ist Ordchestermanager und künstlerischer Leiter des European Union Youth Orchestras EUYO. Daneben ist er CEO der International Youth Foundation of Great Britain, Gründer und Präsident des Musikprogramms Sistema Europe.

OLGA KOLOKYTHA
Olga Kolokytha, PhD MA ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Angewandte Musikforschung des Departments für Kunst und Kulturwissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems. Die Musikwissenschafterin leitet dort das Masterstudium „Music Business and Culture“.

NADJA KAYALI
Mag.a Nadja Kayali ist geschäftsführende Intendantin des Carinthischen Sommers. Die Regisseurin, Autorin, Moderatorin und Radiomacherin bei Ö1 ist selbst künstlerisch tätig. Bis 2023 war sie künstlerische Leiterin des Festivals Imago Dei Krems.

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