Die Digitalisierung vereinfacht den Zugang zu Wissen und ermöglicht eine neue Dimension der Zusammenarbeit. Mit dem Projekt DH-Infra.at soll nun eine gemeinsame digitale Infrastruktur für die Geisteswissenschaften in Österreich geschaffen werden.
Von Sophie Hanak
Das lange Sitzen in staubigen Archiven und die endlose Suche nach bestimmten Quellen werden schon bald weitgehend der Vergangenheit angehören, denn die fortschreitende Digitalisierung verändert auch die Landschaft der Geisteswissenschaften grundlegend.
„Mit dem Projekt Digital Humanities Infrastructure Austria, kurz DH-Infra.at, soll eine Grundlage geschaffen werden, um das gesamte historische Wissen und kulturelle Daten in Österreich in den digitalen Raum zu bringen und besser miteinander zu verbinden. So entwickeln wir eine völlig neue Arbeitsgrundlage für Forschung und Lehre“, erzählt Anja Grebe vom Department für Kunst- und Kulturwissenschaften begeistert. Gefördert wird das dreijährige Projekt vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) im Rahmen der Kooperationsausschreibung für Digitale Forschungsinfrastruktur.
Brücken bauen in der digitalen Welt
Um dies umzusetzen, müssen sich die Wissenschafter_innen, die aus sieben Universitäten in Österreich und zwei außeruniversitären Forschungseinrichtungen stammen, noch einigen Herausforderungen stellen. Ein Problem, das sich immer mehr bemerkbar macht, ist die fehlende Einheitlichkeit in der Digitalisierung. Oftmals verfügen Institutionen wie Museen oder Archive über individuelle digitale Strukturen und Datenbanksysteme, die nicht kompatibel sind. „In der Fachsprache redet man hier von sogenannten Datensilos: Diese sind schwer austauschbar und vernetzbar“, sagt Grebe. Hinzu kommen rechtliche Bedenken, die dem freien Zugang zu den Daten und ihrem Austausch entgegenstehen: „Auch heute noch kommt es vor, dass Institutionen ihr Material nicht öffentlich zugänglich machen wollen – und teilweise auch nicht können, um die Rechte der Schöpfer_innen zu wahren. Es kann sogar vorkommen, dass innerhalb einer Institution unterschiedliche Lizenzierungen existieren, was nicht nur für Außenstehende kaum durchschaubar ist und die Arbeit mit den Daten enorm verkompliziert.“
Diese Situation war der Auslöser für die Arbeitsgemeinschaft für digitale Geisteswissenschaften in Österreich, CLARIAH-AT, nach dem Vorbild anderer europäischer Länder eine Infrastruktur für Österreich zu schaffen, die diese einzelnen Datenbestände auf nationaler Ebene miteinander vernetzt. „Wir Wissenschaftler_innen sind uns einig, dass wir zukünftig aus diesem Silodenken herauskommen wollen. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern funktioniert dabei sehr gut“, freut sich Grebe. Im Zuge des Projekts DHInfra.at werden große Rechnerkapazitäten für geisteswissenschaftliche Big Data auf- und ausgebaut, um die Datenmengen in angemessener Zeit zu bearbeiten und zu speichern. Es wird auch Open Source Software den spezifischen Bedürfnissen der Digital Humanities-Community angepasst und weiterentwickelt. Gleichzeitig sollen die Daten für Anwendungen wie Künstliche Intelligenz oder Machine Learning nutzbar gemacht werden. Eine Herausforderung wird es sein, unterschiedliche kulturelle Datenbestände, etwa aus verschiedenen Museen, Bibliotheken und Archiven in Österreich, sowie diesbezügliche Forschungsdaten, etwa aus früheren Projekten der Projektpartner, zu verbinden. „Wir werden viel experimentieren müssen, um herauszufinden, wie man Bestände, die auf unterschiedliche Weise digitalisiert wurden, zusammenführt. So muss es möglich sein, Bilddaten aus unterschiedlichen Sammlungen nach bestimmten visuellen Mustern zu durchsuchen“, erklärt Grebe.
In einem weiteren Projektteil wird getestet, wie mit einem modernen ScanRoboter oder einer Multispektralkamera hochauflösende 3D-Scans von Kunstwerken und dreidimensionalen Objekten angefertigt werden können, die selbst hochgradig unregelmäßige Formen und Oberflächen erfassen und reproduzieren können. Dafür werden entsprechende Geräte beschafft.
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„Unsere Motivation ist, tatsächlich große Datenbestände dursuchen zu können und ganz neue Forschungsfelder und -fragen zu generieren“
Anja Grebe
Zukunftsvision und Zusammenarbeit
In dem Infrastrukturprojekt arbeiten die Forscher_innen eng mit den teilnehmenden Institutionen und der Kulturerbe-Community zusammen. „Im Moment läuft beispielsweise noch bis Ende Juni eine Umfrage in den einzelnen Institutionen, wo die Wissenschafter_innen speziell befragt werden, was ihre Wünsche sind, was das System leisten soll, welche konkreten Anwendungsfälle sie haben und welche Verbesserungsvorschläge sie machen können“, so Grebe. „Das Ziel ist es, eine gute Zusammenarbeit zu schaffen und eine Infrastruktur aufzubauen, die es ermöglicht, gemeinsam an unserem kulturellen Erbe zu arbeiten und die Möglichkeiten des Digitalen zu nutzen, um die Erforschung, aber in weiterer Folge auch die Vermittlung von Kulturgütern voranzubringen und Wissen und Verständnis zu fördern.“
Abschließend betont Grebe: „Es ist spannend zu sehen, wie wir trotz der Herausforderung, die Einzigartigkeit von Kunstwerken und kulturellen Objekten mit der Logik von Computern abzubilden, sinnvolle Anwendungen schaffen können. Unsere Motivation ist, tatsächlich große Datenbestände durchsuchen zu können und ganz neue Forschungsfelder und -fragen zu generieren.“
ANJA GREBE
Univ.-Prof.in Dr.in Anja Grebe hält die Professur für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften am Department für Kunst- und Kulturwissenschaften, wo sie das Zentrum für Kulturen und Technologien des Sammelns leitet.
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