Was macht die Kunst mit den Menschen? Welches Wirkungspotenzial in einem Kunstwerk angelegt ist und unter welchen Bedingungen es sich entfalten kann – das sind die Fragen, die die Kunsthistorikerin Hanna Brinkmann in ihren Forschungsarbeiten antreiben.

Ilse Königstetter

Das Zusammenspiel von Betrachtenden und kulturellen Objekten, wie etwa Kunstwerken, darin liegt das Erkenntnisinteresse von Hanna Brinkmann. Und diese Interaktion kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen wirken. „Je nach Objekt, Betrachtenden und Kontext kann es zu einer ästhetischen Wirkung, zum Beispiel durch Farben und Linien kommen, aber auch emotionale, edukative bis hin zu gesundheitsfördernden Wirkungen sind möglich“, skizziert die Wissenschaftlerin den großen Radius, den Kunstwahrnehmung und -erleben beschreiben kann. Hierbei spielen die fortschreitende Digitalisierung und die Frage, in welcher Weise sich die digitale Transformation auf die Kunsterfahrung auswirkt, für Hanna Brinkmann eine große Rolle. Es gibt viele Gründe, warum die Wissenschaftlerin an der Universität für Weiterbildung Krems ein ideales Betätigungsfeld gefunden hat. Neben Grundlagenprojekten zur Sammlungsgeschichte steht die gesellschaftliche Bedeutung von Museen und Sammlungen angesichts aktueller digitaler und globaler Herausforderungen im Fokus der Forschungsaktivitäten des Zentrums für Kulturen und Technologien des Sammelns. Themen, die neben Museums- und Besucherstudien, Rezeptionsästhetik und empirischer Ästhetik auch für Hanna Brinkmann von großer Relevanz sind. Seit 2020 fungiert sie im Zentrum als Senior Researcher. „Ich darf hier in Krems Forschungsideen generieren, Projekte konzipieren und – wenn sie ressourcentechnisch umsetzbar sind – diese mit einem interdisziplinären Team realisieren“, freut sich die Kunsthistorikerin über den vielfältigen Aufgabenbereich. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte liegt auf dem Blick, der sie ganz besonders interessiert. In vielen ihrer Publikationen geht sie unter anderem der Frage nach, was an einem Kunstwerk (zuerst) betrachtet und was keines Blickes gewürdigt wird; welche Texte in Ausstellungen gelesen werden und – natürlich wichtig für die Forschung, aber auch für die museale Praxis – was sich daraus ableiten lässt.

Welches Bild macht Eindruck?

Die Kunsterfahrung beginnt in der Regel mit dem Blick. „Mit der Technologie des eye tracking haben wir heute die Möglichkeit, die Augenbewegungen eines Menschen, der ein Kunstwerk betrachtet, sehr gut nachzuvollziehen“, beschreibt Hanna Brinkmann die Methode. Die Technologie besteht aus einer Brille, die mit kleinen Kameras ausgestattet ist, die die Bewegungen des Auges aufzeichnen. Die Szenenkamera schaut nach vorne und zeigt, was die Person gerade sieht. Aufgezeichnet werden die Fixationen (Bereiche, die man genau betrachtet und scharf sieht) und Sakkaden (schnelle Augenbewegungen) einer Person. Die Auswertung der Daten erlaubt dann eine ziemlich präzise Analyse des Blicks. Die Gemäldeserie des Briten Tom Price, die gerade in der Kunsthalle Krems zu sehen ist, zeigt ein eindrucksvolles Beispiel für die künstlerische Umsetzung des Themas, da die roten Farbbahnen Blickbewegungen reflektieren (siehe Foto). Um herauszufinden, warum Besucher_innen wohin geschaut haben, werden die Blickbewegungsdaten in der Forschungstätigkeit von Hanna Brinkmann und einem interdisziplinären Team durch Fragebögen sowie Interviews ergänzt.

Die Werft Korneuburg

Zeitzeug_innengespräche waren auch ein wichtiger Teil des Projektes „Industriekultur im Dialog – Grundlagenforschung zur Lehrwerkstätte der Alten Werft Korneuburg“, das sich unter der Leitung von Prof. Anja Grebe und maßgeblicher Beteiligung von Hanna Brinkmann der ehemaligen Schiffswerft Korneuburg widmet. Sie war eine der größten Werftanlagen Österreichs mit internationaler Reichweite und wurde 1993 geschlossen. Viele Objekte und Dokumente haben ihren Weg in das Korneuburger Stadtmuseum gefunden und konnten erst teilweise aufgearbeitet werden. Aufgrund des großen Bestands fokussiert das Forscher_innenteam auf einen kleinen, historisch jedoch prägenden Teil des Werft-Lebens in Korneuburg: Die Lehrwerkstätte. Diesem Thema nähert sich das Projekt, das von der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich finanziert wird, aus drei Perspektiven: der sammlungswissenschaftlichen Erschließung der Objekte, den Zeitzeug_innengesprächen und intergenerativen Workshops. „Im Rahmen einer Projektwoche sprachen Schüler_innen der BHAK Korneuburg mit Senior_innen, die früher in der Werft gearbeitet haben, um gemeinsam weitere Aspekte zu den Objekten zu erforschen“, berichtet Hanna Brinkmann. Die Ergebnisse werden für weitere Forschungen zur Verfügung gestellt. „Das Projekt, in dem es viel um Partizipation und Identitätsfragen ging, wurde sehr positiv aufgenommen und alle Beteiligten haben viel voneinander gelernt“, resümiert die Kunsthistorikerin.

Gesundes Museum

Um die Wirkung von Kunsterfahrung auf die Gesundheit älterer Menschen in der Praxis zu erforschen, wurde von der Fakultät für Gesundheit und Medizin und vom Zentrum für Kulturen und Technologien des Sammelns der Universität Krems in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Museum Wien das Projekt „Gesundes Museum“ ins Leben gerufen. „Die Absicht ist, die Teilnahme älterer Menschen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben aktiv zu fördern, um der Vereinsamung und dem sozialen Rückzug entgegenzuwirken und gleichzeitig positiv-stimulierende Signale zu setzen“, beschreibt Hanna Brinkmann die Hauptziele des von Prof. Stefanie Auer geleiteten Projekts, in dem sie mitarbeitet. Dabei sollen auch Personengruppen mit wenig Museumserfahrung, eher geringem Einkommen, Migrationshintergrund und gesundheitlichen Einschränkungen angesprochen werden. „Es geht uns darum, herauszufinden, ob die Auseinandersetzung mit Kunstwerken in einem eher ungewohnten Raum sich positiv auf die Gesundheit, gegen Vereinsamung und damit präventiv auswirken kann“, formuliert Hanna Brinkmann das Forschungsinteresse. Die Erkenntnisse aus dem Projekt, das vom Fonds Gesundes Österreich und der Wiener Gesundheitsförderung finanziert wird, werden anderen Museen und Bildungsträgern in Form von publizierten Richtlinien und Empfehlungen zur Verfügung gestellt.

Ein weiteres Forschungsprojekt, das sich gerade in der Startphase befindet und von Hanna Brinkmann geleitet wird, befasst sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kunstwahrnehmung und ist eine Kooperation mit der Österreichischen Galerie Belvedere Wien.


HANNA BRINKMANN
Dr.in Hanna Brinkmann, M.A. studierte Kunstgeschichte, Psychologie und Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 2017 promovierte sie zur Dr.in phil. am Institut für Kunstgeschichte an der Universität Wien. Seit 2020 ist sie Senior Researcher und Lehrende am Zentrum für Kulturen und Technologien des Sammelns an der Universität für Weiterbildung Krems. Seit 2022 gehört Brinkmann dem Vorstand von DArthist Austria an, einem Netzwerk für Digitale Kunstgeschichte in Österreich.

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