Österreich ist international für seine großartige Kunst- und Kulturszene berühmt. Allein: Die meisten Kulturschaffende leben im Prekariat. Die Initiative „Fair Pay“ arbeitet auf allen Ebenen gegen diesen Missstand.

Von Karin Pollack

Besonders im Sommer ist Hochsaison: Land auf Land ab finden Festspiele, Konzerte oder Lesungen statt, dort eine Kulturinitiative, da eine Ausstellung. Laut Kulturbericht der Statistik Austria sind in Österreich rund 130.000 Erwerbstätige damit befasst, quer durchs gesamte Land kulturelle Angebot auf die Beine zu stellen und damit Orte zu schaffen, an denen Menschen zusammenkommen, den Alltag hinter sich lassen und den Kopf frei für Neues bekommen.

Wer in Österreich lebt, kann aus dem Vollen schöpfen. Allein im Festivalsektor gab es etwa im Spieljahr 2021 rund 2000 Vorstellungen im Bereich Theater und Musik, die insgesamt 1,12 Millionen Besucher anzogen. Zusammen mit allen anderen Künsten, berechnet die Statistik Austria, beläuft sich die Wirtschaftskraft des Kultursektors auf rund 5,3 Milliarden Euro. Pro Jahr.

„Österreich ist zwar ein Kulturland, aber das Gagen-Niveau ist hierzulande extrem niedrig,“ sagt Musikwissenschafterin Eva Maria Bauer von der Universität für Weiterbildung in Krems und verweist auf die 2022 von der IG Freie Musikschaffende durchgeführte Studie zur Einkommenssituation freischaffender Musiker_innen in Österreich. Das ernüchternde Ergebnis: 50 Prozent verdienen weniger als 18.000 Euro. Nicht nur in der Musik, auch sonst müssen Kunstschaffende sowie Kunst- und Kulturvermittler_innen mit wenig Geld auskommen. In der 2018 vom Bundeskanzleramt durchgeführten Studie zur sozialen Lage der Kulturschaffenden wird für manche Bereiche der Durchschnittsverdienst mit weniger als 5.000 Euro pro Jahr errechnet, die Betreffenden sind darauf angewiesen, durch andere Tätigkeiten Geld zu verdienen. „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, nachteilige Verträge und Selbstausbeutung sind an der Tagesordnung,“ steht in dem Bericht.

Hartes Pflaster Kulturszene

Doch kaum jemandem außerhalb der Kulturszene ist dieser Umstand vollumfänglich bekannt. Die Kulturszene ist ein hartes Pflaster, nur wenige schaffen es nach oben, verdienen gut und sind öffentlich bekannt. Das verstellt den Blick auf die Realität der gesamten Szene. „Die Diskrepanz zu den vielen anderen, die in prekären Verhältnissen leben, ist krass,“ so Bauer, kulturpolitisch ist das ein Dauerthema.

Wer verändern will, muss strategisch denken, nur ein groß angelegter Prozess von Bundesländern, dem Städte- und Gemeindebund und den unterschiedlichen Interessensgemeinschaften im Kultursektor würde Verbesserungen für Kulturschaffende bringen. Als Andrea Mayer 2020 ihr Amt als Staatssekretärin für Kunst im Bundeskanzleramt antrat, wollte sie, „dass hier endlich etwas weitergehen soll.“

Wie umsetzen? Kunst und Kultur ist in Österreich zu einem hohen Grad von öffentlichen Förderungen abhängig, das Geld kommt aus unterschiedlichen Quellen. Ergo: „Für eine faire Bezahlung mussten wir die öffentliche Hand in die Pflicht nehmen“, erinnert sich Bauer an die Anfänge. Zwei Jahre nach Mayers Amtsantritt wurde „Fair Pay“ ins Regierungsprogramm aufgenommen und mit 6, 5 Millionen Euro dotiert, 2023 stellte der Bund Fair Pay-Zuschüsse von neun und 2024 zehn Millionen Euro bereit. Und die Staatssekretärin weiß, dass das nur ein Anfang ist. „Fair Pay für Kunst und Kultur in Österreich ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Was „Fair Pay“ eigentlich heißt

Und das auf vielen Ebenen. Viele Schritte sind bereits gemacht. Die wichtigste Frage aus Sicht der Kunst- und Kulturschaffenden selbst war, Klarheit dahingehend zu schaffen, was „Fair Pay“ überhaupt bedeutet. Die Interessensvertretungen haben in Ermangelung von Kollektivverträgen Leistungs- und Honorarkataloge erstellt – jeder Bereich für sich. „Die Kleinteiligkeit und Diversität in der freien Kulturszene war die größte Herausforderung,“ sagt Yvonne Gimpel von der IG Kultur und meint die Art, die Dauer und die Vielfalt von Veranstaltungen in ihrem Bereich.

Andrea Mayer

„Fair Pay für Kunst und Kultur in Österreich ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Andrea Mayer

Davon hängen jedoch die Arbeitsverhältnisse und – verträge ab. Es gibt viele unterschiedliche Arten von Beschäftigungsverhältnissen. „Für uns war wichtig, begreiflich zu machen, dass Kunst Arbeit ist, dass da verschiedene Kosten anfallen, die gemeinhin unsichtbar sind“, sagt Vasilena Gankovska von der IG Bildende Kunst. Bauer, die auch Präsidentin des Musikrats ist, spricht einen weiteren Missstand an: „Künstler_innen haben meist eine lange Ausbildung absolviert, doch sie haben nach ihrem Studium oft keine Vorstellung, welche konkreten Summen sie für ihre Leistungen verrechnet können“, sagt sie und sieht in den von den unterschiedlichen Interessensvertretungen zusammengestellten Honorar- und Leistungskatalogen einen Meilenstein, „einen Schritt zur Professionalisierung“, nennt es Gankovska.

Reader zur Orientierung

Der vom Kulturrat Österreich herausgegebene Reader ist ein Nachschlagewerk. Gegliedert in die Bereich Bildende und Darstellende Kunst, Film, Festivals, Freie Kulturarbeit, Freier Rundfunk, Kulturvermittlung, Literatur, Übersetzung und Musik finden sich in jedem Bereich Listen zur Orientierung für Kunstschaffende und Organisatoren gleichermaßen. „Es ist ein Empowerment-Tool und essenziell für das Selbstverständnis der Kulturschaffenden“, sagt Bauer. Um die Wichtigkeit zu unterstreichen, fügt sie an: „Niemand von uns würde heute mit einem Installateur um den Preis seiner Leistung feilschen, aber Künstler_innen müssen für Gagen oder auch um die Kostenerstattung von Anreisen kämpfen.“ Einstweilen sind die im Reader versammelten Honorar- und Leistungsrichtlinien zwar nur Empfehlungen und keine Verpflichtung, „als letzte Ausbaustufe wäre es natürlich wünschenswert, wenn faire Bezahlung als ein Muss-Kriterium für alle öffentlichen Förderungen festgeschrieben wird,“ formuliert Staatssekretärin Mayer ihre Vision für die Zukunft.

Österreichs Kulturszene ist vielfältig und kleinteilig. In den vergangenen vier Jahren haben die Interessensvertretungen deshalb umfassende Aufklärungsarbeit auf allen verschiedenen Ebenen geleistet. Mittlerweile wüssten die meisten, was „Fair Pay“ ist, sagt Eva Maria Bauer und nennt es eine kommunikative Meisterleistung. „Einige Bundesländer machen mit, andere gehen eigene Wege“, kann Yvonne Gimpel von IG Kultur berichten aus ihrer Sicht würde es deshalb Sinn machen „Fördersysteme vollkommen neu zu gestalten und die gerechte Bezahlung direkt dort zu integrieren.“

Eva-Maria Bauer

„Niemand von uns würde heute mit einem Installateur um den Preis seiner Leistung feilschen, aber Künstler_innen müssen für Gagen oder auch um die Kostenerstattung von Anreisen kämpfen.“

Eva-Maria Bauer

Werden Preise steigen?

Doch werden Kunst und Kultur überhaupt noch leistbar sein, wenn Künstler_innen und all jene, die hinter den Kulissen arbeiten, die vermitteln, erklären und organisieren besser bezahlt werden? „Derzeit fließt ein Promille der Bundesausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in Kultur,“ sagt Gimpel und sieht deshalb Luft nach oben. Eva Maria Bauer gibt zu bedenken, dass gerade im Musikbereich die Einkommenssituation durch die digitalen Plattformen immer schwieriger wird. Von den Einnahmen aus Spotify könne niemand leben, sagt sie. „Fair Pay“ in realen Situationen bei Konzerten und Veranstaltungen würde damit sogar noch überlebenswichtiger.

„ ‚Fair Pay‘ ist ein Durchbruch, doch für Jubel gibt es noch keinen Anlass,“ ist auch Yvonne Gimpel von der IG Kultur überzeugt. Denn erst einmal geht es darum, sämtliche Bundesländer in Boot zu holen. Salzburg spielt eine Vorreiter- und Vorzeigerolle, weil es sein „Fair Pay“-Programm nicht nur als Mehrjahresprojekt angelegt hat, sondern auch klare Erwartungshaltungen für alle Beteiligten im Kunst- und Kulturbereich kommuniziert hat. Und: „Fair Pay“ hat in Salzburg auch den Regierungswechsel überstanden.

Das ist übrigens auch Andrea Mayers große Hoffnung: „Dass es Kulturschaffenden in Österreich finanziell besser geht, dauert, wir müssen der Branche Zeit geben, sich Schritt für Schritt in diese Richtung zu bewegen,“ sagt sie. „Wir sind ein Kulturland mit einer riesigen Landschaft“, erinnert Bauer, „es braucht faire Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen für Kunst- und Kulturschaffende, damit das auch so bleibt.“


ANDREA MAYER
Mag.a Andrea Mayer ist seit 2020 Kunst- und Kulturstaatssekretärin und verfügt über große Kenntnis der österreichischen Kunst- und Kulturlandschaft. Davor war sie Kabinettsdirektorin der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei und ab 2007 Leiterin der Kunst-, später auch Kultursektion im Kulturministerium.

EVA-MARIA BAUER
Eva-Maria Bauer, MA ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Angewandte Musikforschung des Departments für Kunst- und Kulturwissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems. Im Februar 2024 wurde sie zur Präsidentin des Österreichischen Musikrats (ÖMR) gewählt.

VASILENA GANKOVSKA
Vasilena Gankovska ist bildende Künstlerin und seit 2012 Vorstandsmitglied der IG Bildende Kunst sowie seit 2022 Redaktionsmitglied von Bildpunkt – Zeitschrift der IG Bildende Kunst.

YVONNE GIMPEL
Yvonne Gimpel fungiert seit 2018 als Geschäftsführerin der IG Kultur, der Interessenvertretung der autonomen Kulturinitiativen in Österreich. Von 2010 bis 2017 war sie für die Österreichische UNESCO-Kommission tätig, zuletzt als stellvertretende Generalsekretärin.

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