Im digitalen Dschungel der Gesundheitsinformationen entführt so mancher Pfad in unbekanntes bis unseriöses Niemandsland. Eine wissenschaftlich getestete Checkliste dient mit sieben einfachen Merkmalen zur Orientierung. Sie soll Health Literacy stärken.

Von Mario Wasserfaller

Bei der Suchmaschinen-Anfrage „Ist Vitamin D gut für das Immunsystem?“ ergibt die Trefferliste direkt untereinander tendenziell bejahende und relativierende Artikel, umrahmt von Anzeigen für Vitaminpräparate. Wer sich mit der Einordnung solcher Informationen schwer tut, steht nicht alleine da, denn sich in Zeiten von Suchmaschinen wie Google über ein vermeintlich einfaches Gesundheitsthema zu informieren, erfordert bereits ein Mindestmaß an Gesundheitskompetenz.

Laut gängiger Definition bedeutet dies „das Wissen, die Motivationen und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und im Alltag anzuwenden (…). Die Hauptinformationsquelle für Gesundheitsthemen ist in Österreich das Internet, noch vor den Ärzt_innen: Laut der Gesundheitskompetenz-Erhebung HLS19-AT (Health Literacy Survey) recherchieren rund drei Viertel der User_innen im Netz nach gesundheitsbezogenen Themen wie etwa Krankheiten, Vorsorge oder Ernährung.

Herausforderungen nicht nur digital

Ungefähr 30 Prozent der österreichischen Bevölkerung hat demnach „Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen, wobei Herausforderungen nicht nur im digitalen Bereich gegeben sind: Im Durchschnitt hat ein Drittel „Schwierigkeiten mit der Orientierung im Gesundheitssystem, ca. 30 Prozent „Schwierigkeiten im Umgang mit Impfinformationen“ und ca. zehn Prozent „Schwierigkeiten in Gesprächen mit Ärztinnen und Ärzten.

Menschen mit geringer allgemeiner Gesundheitskompetenz schätzen zum Beispiel ihre gesundheitliche Situation schlechter ein, sind häufiger von chronischen Erkrankungen und gesundheitsbedingten Einschränkungen im Alltag betroffen und verbringen mehr Tage im Krankenstand - um nur einige der Benachteiligungen zu nennen. Nicht von ungefähr steht „Health Literacy“ auf der gesundheitspolitischen Agenda weit oben. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken ist Nummer drei auf der Liste der zehn „Gesundheitsziele Österreich, die in einem Politikfeld übergreifenden Prozess erarbeitet und 2012 von der Bundesgesundheitskommission und dem Ministerrat beschlossen wurden.

Ausschlaggebend dafür und auch die Gründung der Österreichischen Plattform für Gesundheitskompetenz (ÖPGK) waren die Ergebnisse der ersten Gesundheitskompetenz-Erhebung für Österreich, die 2011 im Rahmen des europäischen Health Literacy Survey (HLS-EU) einen vergleichsweise großen Nachholbedarf hierzulande ergab. Rund 56 Prozent der Österreicher_innen wiesen eine „limitierte“ Gesundheitskompetenz auf. Zehn Jahre später ergab die bis heute aktuellste Erhebung HLS19‐AT nur unwesentliche Besserungen in diesem Bereich.

Eva Krzcal

„Wenn ich Gesundheitskompetenz steigere, können Betroffene bessere Entscheidungen für sich selbst treffen.“

Eva Krzcal

Infos ohne Nebenwirkung

Wie lassen sich also Gesundheitsinformationen auf ihre Qualität hin überprüfen, und zwar gerade für Lai_innen? Dieser Leitgedanke spielte eine wesentliche Rolle beim Projekt „Infos ohne Nebenwirkung, das aus dem fakultäts-, department- und disziplinenübergreifenden Forschungsprojekt „Critical Health Literacy for Empowerment in the Era of Digital Transformation“ an der Universität für Weiterbildung Krems hervorging.

Im Fokus des von April 2021 bis Dezember 2023 laufenden Projekts stand die Erstellung einer Checkliste, die es erlauben würde, die Verlässlichkeit von Gesundheitsinformationen einzuschätzen. Nach einer umfassenden Literaturrecherche und dem Studium von 449 Merkmalen aus insgesamt 73 bereits früher veröffentlichten Arbeiten und Checklisten wurden anhand eines Testsets von 100 Online-Gesundheitsinformationen zunächst 19 Personen mit kognitiven Interviews befragt. Danach machten 20 Personen einen Anwendungstest, bei dem die Checkliste anhand von jeweils 15 Gesundheitsinformationen erprobt wurde.

„Wir sind von den Anfragen an Medizin-transparent.at ausgegangen. Dort haben wir gesehen, dass es für viele Menschen schwierig ist, die Informationen im Internet einzuschätzen, erklärt Projektleiterin Ursula Griebler, Senior Researcher am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der UNIVERSITÄT FÜR WEITERBILDUNG KREMS die Initialzündung. „Medizin-transparent.at“ ist ein Faktencheck-Portal von Cochrane Österreich und der Universität Krems, deren Analysen wie „Unbelegt: Wasserstoffperoxid gurgeln gegen Coronavirus“ direkt Eingang in das Projekt fanden.

Checklisten sind Wissenschaft für sich

Eva Krczal, Assistenzprofessorin für Gesundheitsmanagement am Department für Wirtschaft und Gesundheit, war in die kognitiven Interviews mit Personen ohne medizinisches Fachwissen involviert - ein qualitatives Befragungsverfahren nach der sogenannten „Think Aloud“ Methode. Die Testpersonen mussten anhand von Gesundheitstexten aus dem Internet die Anwendbarkeit und Verständlichkeit von vorgegebenen Kriterien einschätzen, deren Formulierung und Fragestellungen sukzessive aufgrund der Rückmeldungen und nach wissenschaftlichen Einschätzungen angepasst wurden. „Wenn ich die Gesundheitskompetenz, das Gesundheitsbewusstsein steigere, dann kann ich auch die Handlungs- und Entscheidungskompetenz der Betroffenen steigern und sie können bessere Entscheidungen für sich selbst treffen, ist Krczal überzeugt.

Weiterbildung für Mediziner_innen

Was für die breite Öffentlichkeit zutrifft, gilt auch für Gesundheitsberufe – und all jene die sich auf dem Gebiet weiterbilden möchten. Vor dem Hintergrund der HLS19-AT-Ergebnisse, wonach sich die Bevölkerung „vorwiegend mithilfe von digitalen Quellen sowie bei Ärztinnen bzw. Ärzten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe zu gesundheitsrelevanten Themen informiert, sieht Selma Parzer, Leiterin des Studiengangs „Evidence Based Public Health und Gesundheitsmanagement“ - eine Kooperation der Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation sowie für Wirtschaft und Gesundheit - gerade auch in der Weiterbildung Handlungsbedarf in Sachen Gesundheitskompetenz.

„Es war uns wichtig, diesen Kooperationslehrgang zu starten, da auch bei Mediziner_innen Unsicherheiten aufgetreten sind - gerade während der Corona-Zeit, sagt Parzer über den Studiengang, der grundsätzlich allen am Thema Interessierten offen steht, die eine einschlägige Berufserfahrung mitbringen. Ein wichtiger Aspekt dabei sei, speziell Jungmediziner_innen in einem wissenschaftlich und regulatorisch fluiden Umfeld zu vermitteln, sich nicht nur darauf zu verlassen, was im Rahmen des Medizinstudiums gelehrt wurde. Vielmehr gelte es, Ärzt_innen dabei zu unterstützen, „die bestmögliche, evidenzbasierten Entscheidung zu treffen.

Stärkere Verbreitung erforderlich

Der größte Bedarf an einer besseren Gesundheitskompetenz herrscht aber mit Sicherheit in der Allgemeinbevölkerung. Dafür bräuchte es noch eine stärkere Verbreitung von „Infos ohne Nebenwirkung“, wie die beteiligten Wissenschafterinnen betonen. Abgehakt sind die Checklisten ohnehin noch lange nicht. In Folgeprojekten sollen die einzelnen Punkte noch weiter auf ihre Benutzerfreundlichkeit überprüft oder auch Checklisten für Lai_innen und Expert_innen miteinander verglichen werden.

 

Die Checkliste von „Infos ohne Nebenwirkung“

 

  • Die Gesundheitsinformation ist frei von Werbung.
  • Ich fühle mich ausgewogen informiert (die Gesundheitsinformation beschreibt z.B. Vor- und Nachteile, mehrere Möglichkeiten zur Behandlung, ...).
  • Fachbegriffe werden sparsam verwendet und ihre Bedeutung erklärt.
  • Die Gesundheitsinformation gibt detailliert an, welche Quellen hinter den genannten Aussagen stehen (Literaturliste, Links zu Studien, …).
  • Die Gesundheitsinformation gibt an, wie gut oder schlecht die behaupteten Sachverhalte wissenschaftlich abgesichert sind.
  • Es ist ersichtlich, wann die Gesundheitsinformation erstellt oder aktualisiert wurde.
  • Die Gesundheitsinformation stammt von einer unabhängigen Einrichtung, die vermutlich kein Geld mit unserer Gesundheit verdient (z.B. keine Anbieter von Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln, …). 
     

URSULA GRIEBLER
Ursula Griebler, PhD MPH ist Senior Researcher am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Universität für Weiterbildung Krems und Projektleiterin von www.infos-ohne-nebenwirkung.at.

EVA KRCZAL
Assoc. Prof. Mag.a Dr.in Eva Krczal ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Gesundheitsmanagement an der Universität für Weiterbildung Krems. Zuvor war sie Teaching Assistant an der Freien Universität Bozen und Universitätsassistentin an der AAU Klagenfurt.

SELMA PARZER
Dr.in rer. nat. Selma Parzer, MSc, ist Senior Scientist und Studienleiterin im Department für Wirtschaft und Gesundheit an der Universität für Weiterbildung Krems. Zuvor war sie u.a. Dozentin an der FH St. Pölten, Advanced Analyst bei Boehringer Ingelheim und wissenschaftliche Mitarbeiterin am AIT.

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