Durch ein Pilotprojekt wurde es erstmals möglich, Community Health Nursing (sinngemäß „Gemeindegesundheitspflege“) in Österreich auszuprobieren. Es zeigt sich, dass das Konzept auch hierzulande funktionieren kann und Lücken in der Gesundheitsversorgung schließen könnte.

Von Cathren Landsgesell

Gehobene Gesundheits- und Krankenpflege, die zu Hause, wohnortnah bzw. im Kontext von Gemeinden passiert, so lässt sich Community Health Nursing beschreiben. 116 sogenannte Community Nurse-Projekte sind seit 2022 in Österreichs Städten und Gemeinden aktiv, um bedarfsgerecht die Gesundheit und Lebensqualität vor Ort zu unterstützen und zu verbessern. Diese bis Ende 2024 laufenden Pilotprojekte treffen auf Resonanz. Mehr als 106.000 persönliche Gespräche mit Klient_innen wurden innerhalb von nicht einmal 24 Monaten geführt.

Für Österreich sind die Community Health Nurses ein Novum: „Unter anderem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist eine der Zielsetzungen, Einschränkungen in späteren Lebensjahren zu vermeiden oder hinauszuzögern, damit Menschen nach Möglichkeit selbstständig zu Hause sein können“, so Linda Eberle, die bei Gesundheit Österreich für die Koordination des Pilotprojektes zuständig ist.

Das Konzept des Community Health Nursing stammt aus dem angloamerikanischen Raum und ist dort wie auch in vielen skandinavischen Ländern ein fester Bestandteil des Gesundheitssystems auf lokaler Ebene. Hinter dem Konzept steht ein ganzheitliches Verständnis einer kommunalen Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung. „Es gibt international unterschiedliche Ausgestaltungen, aber allen gemeinsam ist, dass ein Angebot geschaffen wird, das wohnortnah, niederschwellig und bedarfsorientiert ist“, so Walter Hyll, Senior Scientist am Department Wirtschaft und Gesellschaft der Universität für Weiterbildung Krems (UWK), der gemeinsam mit Kolleg_innen Pilotprojekte innerhalb einer Studie näher untersucht hat.

Community Health Nurses sind dem umfassenden Ansatz entsprechend auf drei Ebenen aktiv, erklärt Hyll: „Während sich die erste Ebene auf das Individuum und Familien bezieht, liegt der Fokus der zweiten Ebene auf Gemeinden und der Fokus der dritten auf dem System.“ In diesem Sinne ist Community Health Nursing ein Bottom-up Ansatz, der das Gesundheitssystem unterstützen und die Gesundheitspolitik informieren soll. In dem österreichischen Pilotprojekt wurde der Fokus auf die erste Ebene gelegt.

Walter Hyll

„Es gibt international unterschiedliche Ausgestaltungen, aber allen gemeinsam ist, dass ein Angebot geschaffen wird, das wohnortnah, niederschwellig und bedarfsorientiert ist.“

Walter Hyll

Netzwerke bilden

Katharina Braun ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet seit Beginn des Pilotprojekts als Community Health Nurse und fachliche Koordinatorin in Gföhl, einer kleinen Gemeinde im Waldviertel. „In den 17 Jahren, die ich im Gesundheitsbereich tätig bin, ist mir aufgefallen, dass es oft nicht die Ressourcen gibt, einzubeziehen, was meiner Meinung nach auch zur Pflege dazu gehört: die Familie, die Umgebung, der ganze Mensch. Als Community Nurse habe ich die Zeit, gemeinsam mit den Klienten und den Familienangehörigen Wege zu skizzieren und auf ihre Bedürfnisse einzugehen.“

Community Health Nursing startete in Österreich mit Fokus auf die Altersgruppe ab 75 Jahren, da dort der größte Bedarf vermutet wurde. Initiiert vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird das Pilotprojekt bis Ende 2024 mit Mitteln der EU-Kommission finanziert.

Die Community Nurses mussten zunächst Aufklärungsarbeit leisten: „Allein durch die Namensgebung konnten sich viele kaum etwas darunter vorstellen“, sagt Braun. Heute kämen die Klienten, Angehörige oder auch der Hausarzt oder das Entlassungsmanagement des Krankenhauses auf sie zu. Die Anliegen betreffen oft die Pflege oder die Nachsorge nach Operationen; es geht um Hilfsmittel, um die Beantragung von Pflegegeld, die Organisation von Hauskrankenpflege, die richtige Einnahme von Medikamenten. „Ganz wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Hausärzten, den Therapeuten, der Hauskrankenpflege und allen, die im extramuralen Bereich tätig sind. Man muss ein gutes Netz schaffen, um gut betreuen zu können“, sagt Braun.

Aus den Gesprächen ergeben sich mitunter Themen, die von so großem Interesse sind, dass Braun dazu Veranstaltungen organisiert. In diesem Jahr hat sie gemeinsam mit „Tut gut!“, einer Plattform des Landes Niederösterreich zur Gesundheitsvorsorge, einen Schwerpunkt zum Thema mentale Gesundheit gestaltet. Auch ein monatliches Gesundheitscafé für Senior_innen in Gföhl geht auf Braun zurück: „Wir sprechen über ein bestimmtes Gesundheitsthema, anschließend sitzen alle noch bei Kaffee und Kuchen zusammen, manchmal ergeben sich auch Spielerunden.“ Braun verlegt ihre Sprechstunde einmal in der Woche in die Ordination einer Hausärztin. Die Zusammenarbeit in der Gemeinde ist eng und das Vertrauen untereinander schnell gewachsen.

Lücken schließen

90 Prozent der Community Nurses im Pilotprojekt sind weiblich, die meisten um die 40 und haben im Durchschnitt bereits 15 Jahre Berufserfahrung als Gesundheitspflegekraft, meist in einem Krankenhaus. Beratung, Wissensvermittlung, Weitervermittlung im Gesundheitssystem, Vernetzung und die Sammlung und Analyse gesundheitsbezogener Daten sind Schwerpunkte der Tätigkeit. Pflegetätigkeiten im klassischen Sinne kommen kaum vor. „Community Nurses ersetzen vorhandene Fachkräfte etwa aus der mobilen Pflege nicht, sondern ergänzen sie, wie es intendiert ist“, berichtet Hyll aus der Studie. Es wurden auch nicht nur die ursprünglich anvisierten „75plus“ erreicht, sondern auch Menschen jüngerer Altersgruppen.

Die Bedarfserhebung in den Gemeinden ist für Linda Eberle ein zentrales Element: „Wenn Community Nursing einmal vollständig etabliert und verankert ist, werden diese Bedarfslücken in das System zu Entscheidungsträger_innen kommuniziert. Es findet dann noch mehr Koordination und Vernetzung statt, und das bewirkt insgesamt eine qualitative Verbesserung.“

Wäre eine eigene Zusatzausbildung für Community Nurses sinnvoll? Sonja Haubitzer, die an der FH Kärnten einen Masterstudiengang Community Nurse entwickelt hat, sagt dazu: „Es ist ganz wesentlich, dass Community Nurses diplomierte Gesundheitspfleger_innen sind.“ Perspektivisch gesehen brauchen die Community Nurses jedoch mehr: „Wirtschaftsethik, Projektmanagement und Marketing sind für sie wichtige Wissensgebiete, damit sie dem Anspruch, kommunale Netzwerke zu bilden, Versorgungslücken zu identifizieren und diese Interessen vielleicht in die Politik zu tragen, auch gerecht werden können“, sagt Haubitzer.

Sonja Haubitzer

„Durch die Präsenz in der Gemeinde wurde großes Vertrauen aufgebaut. Community Nurses können viel bewirken, weil sie nicht nur auf der Individualebene, sondern auch auf der Gemeindeebene aktiv sind.“

Sonja Haubitzer

Anerkennung und Resonanz

Das Feedback aus den Gemeinden und aus der Bevölkerung ist durchweg positiv und anerkennend, berichtet Eberle. „Durch die Präsenz in der Gemeinde wurde großes Vertrauen aufgebaut. Community Nurses können viel bewirken, weil sie eben nicht nur auf der Individualebene aktiv sind, sondern auch auf dieser Gemeindeebene, um zu koordinieren, zu vernetzen und zu schauen, dass bestehende Angebote gut genutzt werden.“

In Zukunft kommen neben den demografischen Umbrüchen zusätzlich neue gesundheitliche und soziale Herausforderungen auf die Kommunen zu. „Es sterben bereits mehr Menschen durch Hitze als durch den Verkehr“, nennt Haubitzer ein Beispiel. „Die Kommunen brauchen daher Konzepte, die dies miteinbeziehen.“ Es gelte, das ausgedünnte soziale Netz zu flicken: „Wo nicht nur Hausärzte fehlen, sondern auch das Gasthaus oder der Bäcker und die Post, geraten Menschen schnell in gesundheitliche Krisen“ so Haubitzer. Community Nurses könnten dazu beitragen, den sozialen Zusammenhalt wieder zu stärken und in den Gemeinden dort ansetzen, wo die Probleme jeweils am dringlichsten sind.

Wenn das Pilotprojekt ausläuft, sei es sinnvoll, die Community Nurses bei den Gemeinden selbst anzustellen, so Haubitzer. Finanziell und rechtlich ist der Weg dafür frei: „Im Rahmen des Finanzausgleichs wurde der Pflegefonds aufgestockt und Community Health Nursing darin verankert, womit die Bundesländer die Möglichkeit haben, die Projekte weiterzuführen“, so Eberle. Der Wermutstropfen: Die Mittel sind nicht zweckgebunden.


KATHARINA BRAUN
DGKP Katharina Braun ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Community Health Nurse und Fachkoordinatorin.

LINDA EBERLE
Linda Eberle, BSc, MSc
ist Projektmanagerin und Koordinatorin des Pilotprojekts Community Health Nursing bei Gesundheit Österreich.

SONJA HAUBITZER
Mag.a Sonja Haubitzer, M.Ed. ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Juristin und Lehrbeauftragte für Pflege und Recht an der Fachhochschule Kärnten.

WALTER HYLL
Dr. Walter Hyll ist stellvertretender Leiter des Departments Wirtschaft und Gesundheit sowie Studienleiter Business Development im Tourismus & Sport- und Eventmanagement an der Universität für Weiterbildung Krems.

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