Disziplinarrechtliche Prüfungen sollen festlegen, ob und in welcher Schwere jemand ein Dienstvergehen begangen hat. Das Projekt HARM weist den Weg zu möglichst stressfreien Disziplinarverfahren im Gesundheitswesen. Das Swiss-Cheese-Modell hilft dabei.
Von Sophie Hanak
Disziplinarverfahren lösen bei den Mitarbeiter_innen Stress aus, das zeigt die Praxis im Gesundheitssektor. Darüber hinaus verursachen diese Verfahren Kosten und führen vielfach zu Krankenständen. Die sensiblere Umsetzung solcher Verfahren werden daher im Rahmen einer internationalen Kooperation zwischen dem Department für Wirtschaft und Gesundheit der Universität für Weiterbildung in Krems und dem Aneurin Bevan University Health Board, einem Teil des britischen National Health Service (NHS), beleuchtet.
Die Studie „Der letzte Ausweg: Verringerung vermeidbarer Verletzungen von Mitarbeiter_innen durch eine bedachtere Anwendung der Disziplinarpolitik und des Disziplinarverfahrens“ analysiert u.a. den Stress den Disziplinarverfahren bei den Mitarbeiter_innen auslösen können, ganz besonders dann, wenn das Verfahren primär aus Gründen der Risikoaversion gestartet wurde. „Wir konnten zeigen, dass Veränderungen von disziplinarischen Untersuchungen und der Einsatz alternativer Interventionen das Wohlbefinden des Personals im Gesundheitswesen deutlich verbessert und Krankenstände reduziert“, resümiert die Co-Autorin der Studie, Doris Behrens vom Department für Wirtschaft und Gesundheit der Universität für Weiterbildung Krems.
Weniger Belastung
Die Forschungsergebnisse zeigen auf, dass Disziplinarverfahren nicht nur für die Betroffenen traumatisch sind, sondern auch für diejenigen, die die Verfahren durchführen. Daher sollten diese grundsätzlich als letzter Schritt betrachtet werden und nur dann zur Anwendung kommen, wenn weniger invasive Maßnahmen nicht erfolgreich sind. „Wir haben festgestellt, dass es eine gewisse Übernutzung von Disziplinarverfahren gegeben hat. Viele Probleme und Fehler hätten eher durch Gespräche, Nachschulungen oder Coachings behandelt werden sollen, sind aber viel zu schnell auf die Schiene der Disziplinarverfahren gelangt“, erklärt Behrens.
Das Team hat folglich Maßnahmen beleuchtet, um sicherzustellen, dass die Disziplinarverfahren auf jene Fälle beschränkt werden, die unbedingt notwendig sind. Dazu gehören Coaching und Harm-Awareness-Sessions für Kolleg_innen aus dem People Management und Line Manager, sowie klarere Formulierungen der Prozessabläufe. Das sogenannte „Swiss-Cheese-Modell“ illustriert wie verschiedene Ebenen (Käsescheiben) innerhalb eines Unternehmens – Policy, Training, Unterstützung des People Management, Führung – zur Vermeidung psychischer Verletzungen beitragen können. Mit jeder „Käsescheibe“ sind zusätzliche Barrieren verbunden, welche verhindern, dass Schaden auftritt. Diese Barrieren haben jedoch Löcher (fehlende Elemente zur Schadensvermeidung) und es ist wichtig zu prüfen, dass nicht „alle Löcher übereinander liegen“, also dass sämtliche Barrieren zum Schutz der Mitarbeitenden gleichzeitig versagen. So können Disziplinarverfahren auf die wenigen Fälle reduziert werden, in denen sie wirklich notwendig sind.
Erfolge der Initiative
„Solche Verfahren nehmen häufig viel Zeit in Anspruch, was für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellt. Daher hatten wir das Ziel, nicht nur die Anzahl der erforderlichen Disziplinarverfahren als auch deren Dauer zu verringern,“ erklärt Behrens. Zwar reduzierte sich vorerst die Zahl der Verfahren recht dramatisch, aber überraschenderweise gab es zunächst keine signifikante Verkürzung des Prozesses. Der Grund dafür war, dass die verbleibenden Projekte tatsächlich sehr problematisch waren und polizeiliche und schutzrechtliche Maßnahmen erforderten.
Konkret führte diese Initiative des Aneurin Bevan University Health Board zu einer Reduzierung von Disziplinarverfahren von etwa 70 Prozent, das bedeutet von 50 auf 15 Verfahren pro Jahr. Dies führte zu jährlichen Kosteneinsparungen von rund 738.000 Pfund. „Die Verfahren laufen jetzt vier bis fünf Monate, ohne die früheren Ausreißer mit einer Dauer von einem bis drei Jahren. Darüber hinaus kam es zu 3.000 weniger Krankenstandstagen pro Jahr“, sagt Behrens, die sich darüber freut, dass dieser Ansatz von anderen Trusts im NHS übernommen worden sei und derzeit auch von Bezirksbehörden und anderen Institutionen des öffentlichen Sektors getestet werde.
DORIS BEHRENS
Die Mathematikerin Univ.-Prof.in Dipl.-Ing.in Dr.in Doris Behrens leitet das Department für Wirtschaft und Gesundheit an der Universität für Weiterbildung Krems. Davor war sie für das National Health Service (NHS) Wales tätig.
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