Politisches Campaigning hat sich grundlegend gewandelt: Wahlkämpfe im 21. Jahrhundert bauen auf soziale Medien, Datenanalyse und KI – mit Herausforderungen für Demokratien.
Von Robert Prazak
Wahlkämpfe haben sich verändert: Wahlplakate, TV-Spots und Auftritte in Fußgängerzonen werden durch digitale Tools ergänzt oder sogar verdrängt. Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie Parteien und Kandidat_innen mit ihren Zielgruppen kommunizieren, revolutioniert. Campaigning ist im 21. Jahrhundert ein hochkomplexes Unterfangen, bei dem Datenanalyse, soziale Medien und Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. „Wahlkämpfe haben sich stark ins Internet verlagert. Früher dominierten klassische Medien und der direkte Kontakt, heute ermöglichen soziale Medien interaktive Kommunikation, die von den Parteien jedoch auch deutlich weniger kontrolliert werden kann“, sagt Meinungsforscherin Alexandra Siegl von Peter Hajek Public Opinion Strategies.
Vom Kommunikationskanal zum Ökosystem
„Die Entwicklung der Wahlkämpfe hin zur Nutzung sozialer Medien verlief Schritt für Schritt“, erklärt Politikwissenschafter Christoph Bieber. Dies geschah parallel zur steigenden Akzeptanz der Plattformen. Der Obama-Wahlkampf 2008 war die Initialzündung, seither ist in jedem Wahlzyklus eine neue, populäre Plattform hinzugekommen. Soziale Medien sind aber längst nicht mehr nur ein Kommunikationskanal, sondern ein zentrales Instrument, um Wählergruppen gezielt anzusprechen. Dadurch können Parteien ihre Botschaften gezielter platzieren und schneller auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Gleichzeitig müssen sie aber mit einer kritischeren und fragmentierteren Öffentlichkeit umgehen. In den USA wird sichtbar, wohin das führt: Der Trump-Wahlkampf setzte ein eigenes „right-wing-ecosystem“ ein, erklärt Bieber: „Dieses Ökosystem wird von Content Creators geprägt, die abseits etablierter Medienplattformen, beispielsweise über Podcasts, Discord oder Twitch ein Millionenpublikum erreichen.“
Doch auch in Europa etablieren Parteien zunehmend eigene Plattformen. Laut Bieber drohe etwa in Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie in den USA, wo beispielsweise die AfD ein rechtes Ökosystem aufbauen will, das Menschen erreicht, die sonst von Politik wenig berührt werden. „Parteien können sich auf diesen Plattformen viel erlauben, da diese Kanäle vom traditionellen Publikum nicht wahrgenommen werden.“
Auch in Österreich gibt es diese Tendenzen. Es gäbe eine klare Verlagerung weg vom Journalismus, hin zu parteieigenen und -nahen Medien, sagt Medienberater Peter Plaikner. „Das ist besonders bei der FPÖ sichtbar.“ Die Partei erreiche über 200.000 Abonnent_innen mit FP-TV auf YouTube; der ihr nahe stehende TV-Sender AUF1 habe auf Telegram bereits 300.000 Abonnent_innen. Auf Facebook – in Österreich nach wie vor die meistgenutzte Social-Media-Plattform – ist die FPÖ in jedem Bundesland aktiv, oft mit größerer Reichweite als der bzw. die jeweilige Landeshauptfrau oder der Landeshauptmann. Und auch andere Parteien bauen auf eigene digitale Medien. Dennoch: „Der TV-Wahlkampf bleibt wichtig, da die Inhalte aus Debatten häufig für Social Media genutzt werden“, sagt Plaikner.
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„Der TV-Wahlkampf bleibt wichtig, da die Inhalte aus Debatten häufig für Social Media genutzt werden.“
Peter Plaikner
Herausforderungen
Die zunehmende Datennutzung und Personalisierung von Wahlkampfbotschaften wird von manchen als Bedrohung für den demokratischen Prozess gesehen; das Fördern und die gezielte Ansprache von Filterblasen sind längst kein Geheimrezept mehr. „Das fehlende kritische Hinterfragen bei solchen Formaten birgt Gefahren für den öffentlichen Diskurs“, warnt Bieber. Dahinter steckt der Trend, dass die klassischen Medien Teile des Publikums nicht mehr erreichen; insbesondere jüngere Menschen informieren sich fast ausschließlich jenseits traditioneller Kanäle, etwa über TikTok.
Werden Demokratien dadurch in ihren Grundfesten erschüttert? Wahlkampfexperte Yussie Pick meint: „Ein Problem liegt nicht in den sozialen Netzwerken selbst, sondern in der Konsumpräferenz der Menschen. Wir lesen bevorzugt Artikel, die unsere Meinung bestätigen.“ Die Polarisierung sei eine zentrale Gefahr im Campaigning – sie bringt Reichweite, untergräbt jedoch langfristig das Vertrauen in demokratische Prozesse. 2024 habe gezeigt, dass sich Kandidat_innen, die sich nicht an die Regeln des demokratischen Diskurses gehalten haben, durchsetzen konnten.“
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„Wurden früher Wählerdaten, Kaufverhalten und Umfragen kombiniert, fließen ins Microtargeting heute Daten aus dem digitalen Raum ein, etwa Google-Suchanfragen und das Social-Media-Verhalten.“
Alexandra Siegl
USA vs. Europa
Die digitalen Methoden des Campaignings werden immer ausgefeilter, etwa durch Microtargeting: „Wurden früher Wählerdaten, Kaufverhalten und Umfragen kombiniert, fließen heute Daten aus dem digitalen Raum ein, etwa Google-Suchanfragen und das Social-Media-Verhalten“, erläutert Siegl. Dadurch lassen sich noch spezifischere Zielgruppen adressieren. Noch weist die Campaigning-Kultur in den USA gegenüber Europa deutliche Unterschiede auf. „Das Zwei-Parteien-System der USA führt zwangsläufig zu einer stärkeren Polarisierung, was durch Persönlichkeiten wie Trump noch verstärkt wird“, meint Alexandra Siegl. Zusätzlich wird dort mit innovativen Technologien experimentiert, wie etwa Chatbots, die Wähler telefonisch kontaktieren. In Europa hingegen bleibt die Mischung aus traditionellen Methoden wie Hausbesuchen und digitalen Ansätzen entscheidend. Laut Plaikner zeige sich dies in Österreichs Landtagswahlkämpfen, wo Hausbesuche hohe Erfolgsquoten erzielten. Dazu kommt: Während in den USA datengetriebenes Campaigning weit verbreitet ist, sind die Möglichkeiten in Europa durch strengere Datenschutzgesetze eingeschränkter.
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„Ein Problem liegt nicht in den sozialen Netzwerken selbst, sondern in der Konsumpräferenz der Menschen. Wir lesen bevorzugt Artikel, die unsere Meinung bestätigen.“
Yussie Pick
Künstliche Intelligenz als Game Changer
Jetzt kommt zusätzlich die Künstliche Intelligenz ins Spiel – sie eröffnet neue Möglichkeiten für das politische Campaigning, von der noch detaillierteren Analyse von Wählerverhalten über die Erstellung personalisierter Inhalte bis zur künstlichen Generierung diverser Inhalte. Nach Ansicht von Yussi Pick ist KI derzeit noch kein großes Thema in Wahlkämpfen, das könne sich aber noch ändern: „Die Problematik von Fake-News ist in anderen Branchen, die weniger stark vom klassischen Journalismus überwacht werden, deutlich größer.“ Und dennoch sind Deepfakes und Voice-Cloning-Technologien Trends, die auch Wähler_innen täuschen und das Vertrauen in demokratische Prozesse untergraben können. So hat KI die Entwicklung des Voice Cloning durch Deep-Learning-Modelle vereinfacht, da nun menschliche Stimmen realistisch imitiert werden können, auch wenn dafür nur wenige Daten verfügbar sind. Durch Voice Cloning können personalisierte Inhalte erstellt werden, es könnten aber auch gezielt Falschinformationen verbreitet werden. Christoph Bieber warnt daher: „Die Integration von KI-Inhalten wird den Wahlkampf nicht revolutionieren, aber die Identifikation authentischer Inhalte erheblich erschweren.“ Die steigende Unterinformation, die sich in westlichen Gesellschaften abzeichnet, erfordere Medienkompetenz und Fact-Checking. „Es ist ein Wettrüsten, bei dem Fälscher oft im Vorteil sind.“
Fest steht: Die digitale Transformation des politischen Campaignings ist nicht aufzuhalten – einerseits ermöglicht das direkte Kommunikation zwischen Politik und Bürger_innen, andererseits birgt der Trend Gefahren für Demokratien. Yussie Pick: „Es gibt die Notwendigkeit, gesellschaftlich einen gemeinsamen Blick auf dieses Problem zu entwickeln, selbst wenn es unterschiedliche Lösungsansätze gibt.“ Eine stärkere Regulierung, insbesondere bei Algorithmen, und mehr Transparenz, sei unumgänglich. Ähnliches fordert Peter Plaikner: „Die Einflussnahme durch russische Bots, die in der Vergangenheit bereits zu Annullierungen von Wahlen führte, sollte ein Weckruf für entschlossene Maßnahmen sein.“ Eine neue, umfassende Medienregulierung auf EU-Ebene sei erforderlich, um Social Media stärker in die Verantwortung zu nehmen. Er fordert für Österreich unter anderem Bildungsinitiativen, insbesondere zur Medien- und politischen Bildung. Die klassischen Medien müssten sich selbst überlegen, wie sie ihre Position stärken können, ergänzt Alexandra Siegl: „Politik kann den Menschen nicht vorschreiben, eine bestimmte Zeitung zu lesen und Facebook zu meiden. Gerade junge Menschen informieren sich heute ja vorrangig online.“
ALEXANDRA SIEGL
Meinungsforscherin Mag.a Alexandra Siegl, MSc ist Senior Consultant bei Peter Hajek Public Opinion Strategies und leitet das Kärnten-Büro des Unternehmens. Sie beschäftigt sich seit 17 Jahren mit aktuellen Fragen und Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Medien.
CHRISTOPH BIEBER
Prof. Dr. Christoph Bieber leitet als Forschungsprofessor das Programm „Digitale demokratische Innovationen“ am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. Zudem ist er Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Spezialgebieten zählen politische Kommunikation, Digitalisierung, Ethik und Transparenz.
PETER PLAIKNER
Peter Plaikner führt die Beratungsfirma IMPact (Institut für Medien und Politik) und ist Kolumnist (Kleine Zeitung, SN, OÖN, News, Furche). Er war Chefredakteur einer Tageszeitung und externer Lehrgangsmanager an der Universität für Weiterbildung Krems.
YUSSIE PICK
Kampagnen- und Kommunikationsberater Yussi Pick berät als Managing Partner der P&B Agentur für Kommunikation Unternehmen und Organisationen. Er war im Digital Organizing Team der Kampagne von Hillary Clinton und wurde u.a. mit dem Deutschen Politk Award ausgezeichnet.
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