Demokratie und ihre Konflikte stellen sich auch über Bilder dar, als sprachliche Metaphern und stereotype Visualisierungen. Diese Botschaften zu verstehen und Inhalte deuten zu können, sieht die Kulturwissenschaftlerin Christina Hainzl als relevant für die Demokratie.

Interview: Heike Hausensteiner

upgrade: Zwischen Bildern, Politik und Gesellschaft bestehen Wechselwirkungen, die Sie wissenschaftlich untersuchen. Welche konkreten Forschungsergebnisse können Sie da nennen?

Christina Hainzl: Meine Arbeit ist inter- und transdisziplinär geprägt. Ich beschäftige mich mit den verschiedenen Aspekten der Visualisierung von Konflikten in demokratischen als auch autoritären Systemen, mit der Rolle von (bewegten) Bildern und Monumenten in Kriegen, deren Wirkung und Wahrnehmung in Medien, als auch deren Rolle bei sozialen und ökologischen Herausforderungen.

Im Mai erscheint etwa ein Buch in Kooperation mit dem Center for Environmental Humanities der Universität Ca‘ Foscari in Venedig, wo es darum geht wie sich ökologische Konflikte in Bildern und Filmen manifestieren.

Wir arbeiten gerade an einer Publikation zum Thema Wahrnehmung der Konflikte im Nahen Osten und deren Auswirkungen auf die Demokratie in Europa. Kriege wie in der Ukraine und im Nahen Osten werden heute auch als Informationskriege geführt, das ist für die Wahrnehmung und Einschätzung von Konflikten von essenzieller Bedeutung. Am aktuellen Konflikt im Nahen Osten sieht man, wie sehr Bilder die Stimmung in Europa geprägt und zu Massenprotesten geführt haben.

Welche Rolle haben Bilder für die politischen Systeme?

Das ist ein Thema, welches mich seit meiner Dissertation begleitet. Ich möchte Ihnen dazu ein Bespiel geben, da es gerade sehr aktuell ist: In Syrien gab es überall Statuen von Machthaber Hafiz al-Assad; das syrische Regime setzte stark auf die Kraft dieser Monumente, wie viele andere davor. Zu Beginn des arabischen Frühlings wurden die Statuen im Zuge der Proteste zerstört. Das Regime reagierte damit, alle noch übrigen Monumente abzubauen und versteckt zu lagern.

Dabei sieht man die Bedeutung, die man diesen Monumenten zuerkennt. In der Wissenschaft ist dieses Phänomen als „unfallen statues“ bekannt, dazu gibt es weltweit Beispiele. Das Regime setzte bewusst auf Abbau, um Bilder der Zerstörung zu vermeiden. Nach dem Scheitern des arabischen Frühlings in Syrien und nach dem Zusammenbruch des IS begann Baschar al-Assad, diese Monumente wieder aufzustellen. Jetzt, am 8. Dezember, sah man auf Bildern, dass diese zerstört wurden, sie sind „gefallen“. Hier sind nicht nur politische Zyklen gut ablesbar, sondern auch, welche Rolle visuelle Elemente einnehmen. Ich untersuche dann, wie solche politischen Momente in Kultur und Medien rezipiert werden.

Der französisch-libanesische Künstler und Filmemacher Ali Cherri hat mehrere Arbeiten zu diesem Thema gemacht. Seine Arbeiten sind noch bis Ende Februar in der Wiener Secession zu sehen. Er setzt sich in seinem Werk mit den verschiedenen Formen von Konflikt und Gewalt auseinander. Ein wichtiges Element seiner Arbeit ist die Dekonstruktion von Narrativen. Dabei geht es um Fragen wie etwa: Welche Bedeutung haben Bilder und Monumente für politische Systeme? Wie „konsumieren“ wir visuell Gewalt und wie ändert sich dadurch unsere Wahrnehmung von Konflikten?

Christina Hainzl

„Visual Literacy fehlt, um problematische Darstellungen tatsächlich zu erkennen. Aufgrund der sozialen Medien, wo alles sehr schnell geteilt wird, ist das generell eine brisante Situation.“

Christina Hainzl

Visual Literacy ist ebenfalls ein wichtiger Punkt in Ihrer Arbeit. Was bedeutet das?

Hainzl: In einer großen quantitativen Erhebung unter tausend Personen haben mein Kollege Adrian Praschl-Bichler und ich uns im Vorjahr angeschaut, inwieweit antisemitische und antimuslimische Karikaturen in Tageszeitungen oder im Internet als solche erkannt werden. Das ist in den seltensten Fällen so! Nur: Je mehr zusätzliche Informationen die Befragten hatten – wir hatten eine Gruppe, die Kontextualisierungen bekam – umso eher erkannten sie die Stereotypisierungen.

Was antisemitische oder neonazistische Gruppierungen ausnützen, um in ihren Codes zu verdeckt kommunizieren.

Hainzl: Genau. Wir hatten auch dieses Bild der Facebook-Krake mit der angeblich „typisch jüdischen“ Nase. Solche klassischen Stereotypisierungen werden von Älteren, die mit antisemitischen Vorurteilen vielleicht noch eher vertraut sind, häufiger erkannt – in der breiten Bevölkerung ist das nicht mehr so. Das hat einen Vorteil und einen Nachteil. Der Vorteil ist, es lassen sich Bilder neu besetzen. Der Nachteil ist, stereotype Darstellungen bleiben unentdeckt.

Die Quintessenz der Studie war: Visual Literacy fehlt, um problematische Darstellungen tatsächlich zu erkennen. Aufgrund der sozialen Medien, wo alles sehr schnell geteilt wird, ist das generell eine brisante Situation.

Welche Maßnahmen könnten die Visual Literacy der Menschen verbessern?

Hainzl: In erster Linie sind das natürlich Bildung und Austausch mit anderen Ländern und Kulturen. Meiner Erfahrung nach hilft es sehr, wenn sich Medien eines Themas annehmen. Das Verpacken einer Thematik in eine Filmgeschichte funktioniert meist auch recht gut.

In dem Buch „Perspektiven des Zusammenlebens“ weisen Sie auf den Einfluss unserer Sinneswahrnehmungen auf Alltag und Miteinander hin. Wird auch Demokratie subjektiv wahrgenommen?

Hainzl: Ganz sicher! Weil wir uns gar nicht davon befreien können. Wir haben natürlich ein normatives System mit Rechtsvorgaben, um eine Linie zu schaffen. Aber die Wahrnehmung von Darstellungen oder wie wir etwas rezipieren, das ist immer subjektiv.

Wir hatten jüngst eine Besprechung zu einer Konferenz über Neutralität. Können wir Wissenschafter_innen überhaupt neutral sein in allem, was wir präsentieren? Ich glaube, dass unsere Einstellungen und die kulturellen Hintergründe immer eine große Rolle spielen, wie wir Narrative wahrnehmen – je nachdem, was wir gewohnt sind und womit wir aufgewachsen sind.

Sie haben die Kontextualisierung in Ihrer Forschung hervorgehoben. Sollten vor diesem Hintergrund wissenschaftliche Erkenntnisse von Regierungen stärker genützt und umgesetzt werden?

Hainzl: Das glaube ich schon. Es wird sich automatisch ergeben, dass man politische Entscheidungen verstärkt auf Forschungsergebnissen aufbauen muss. Weil man gar nicht mehr anders kann. Die großen Entscheidungen, vor denen wir stehen, gehen eigentlich über die nationalen Grenzen hinaus, und da braucht man die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Zweite, und das ist mir ein großes Anliegen, ist, dass wir den Austausch zwischen Wissenschaft und politischen Stakeholdern fördern – da sehe ich auf beiden Seiten Nachholbedarf.

Auch bei der Kommunikation?

Hainzl: Ja! Hier passiert schon sehr viel an den Unis, zusammengefasst unter der Third Mission. Aber man kann es noch genauer angehen, spezialisiert auf einzelne Fachbereiche. Da sind uns die Universitäten im angloamerikanischen Raum voraus. Und auf der anderen Seite sollte in der Politik noch mehr Verständnis für Wissenschaft entwickelt werden.

Was haben die Menschen, die Wähler_innen von Ihren Forschungsergebnissen? Wie profitieren sie, wie profitiert die Demokratie davon?

Hainzl: Ich arbeite ja sehr stark transdisziplinär und versuche, Kultur, Institutionen mit der Wissenschaft zusammenzubringen, was oft sehr spannende Ergebnisse bringt. Ein Beispiel: Im Rahmen der Kooperation mit dem Institut für den Donauraum und Mitteleuropa beschäftigen wir uns mit dem Thema „Grenzen“. Wir sehen uns dabei den Begriff aus einer übergreifenden Perspektive an. So etwa meint der Begriff im politischen Diskurs etwas Anderes als im kultur- oder auch naturwissenschaftlichen Diskurs. Es ist ein fluider Begriff. In einem ersten Teil im November 2024 haben wir uns mit dem Begriff und dessen Bedeutung für Populismus, Migration aber auch Klimapolitik auseinandergesetzt, der zweite Teil im Juni 2025 blickt auf Grenzen in Kulturräumen und diskutiert, welche Veränderungen sich dabei für Identitäten für die jeweilige Bevölkerung ergeben. Auch die daraus resultierenden Konflikte sollen Eingang finden.

Man kann also von transdisziplinärer Forschung profitieren, weil sie einen Perspektivenwechsel auf Demokratie ermöglicht – und dadurch beginnen, bestehende Narrative und bestehende Normen zu hinterfragen. Nicht unbedingt, weil sie schlecht wären. Sondern um sich in einer Demokratie zu fragen: Ist das denn wirklich so und gibt es da vielleicht etwas, das ich viel zu wenig beachte? Demokratie steht für Meinungsvielfalt und Schutz von Minderheiten, das tritt oft in den Hintergrund. Außerdem bringt dieser transdisziplinäre Zugang einen Austausch.

Ist es dieser Austausch, der für den sozialen Kit sorgt, der uns als Gesellschaft zusammenhält?

Hainzl: Das wäre wünschenswert, vor allem wenn es die Toleranz für anderes stärkt.

Lesetipp:

Christina Hainzl (Hrsg.)
Perspektiven des Zusammenlebens – Zur Demokratie
Bibliothek der Provinz, 2023


CHRISTINA HAINZL

Mag.a Dr.in Christina Hainzl leitet an der Universität für Weiterbildung Krems das Research Lab Democracy and Society in Transition – Plattform für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin beschäftigt sich mit den Übergängen und Wechselwirkungen von Demokratie, Gesellschaft und Kunst und vertritt die Universität in der European Science Diplomacy Alliance.

LINK

Artikel dieser Ausgabe

Zum Anfang der Seite